Christoph Schlingensief: Ich weiß, ich war‘s, KiWi, 286 Seiten

Aaaaach, noch ein Krebsbuch? Das denkt sicher mancher und ist genervt. Und das musste sich auch Schlingensief anhören nach seinem ersten Buch von einem Rezensenten. Und reagierte wie es viel mehr Autoren machen sollten: mit einem Posting auf der Seite des FREITAG. Da wird dem Rezensenten der Zeitung ein Moment der Atem gestockt haben.


Es ist mit den Krebsbüchern wie mit dem Krebs selbst: Nichts hören, nichts sehen und am besten nicht drüber sprechen gibt den Gesunden Sicherheit. Die Illusion ist. Die der Künstler Schlingensief so sehr liebte wie zu zerschlagen antrat mit seiner Kunst. Und davon handelt dieses Buch - von seinen Gedanken zur Kunst, zum Leben, zum Tod und zu den Filmen, seiner Laufbahn und den großen Aktionen von „Ausländer Raus“, Chance 2000 bis zur Kirche der Angst.

Ist vielleicht vergessen, dass Schlingensief mit Tilda Swinton filmte und zusammen war, als ihn und sie noch keiner kannte, dass er eine Fernsehshow hatte, die ihn und das Publikum überforderte und dass er irgendwann doch in Bayreuth landete und es liebte - auch wenn er sein Scheitern einsah. Hier wird man erinnert und bekommt die Gedanken dazu aus erster Hand erzählt.

Von den bizarren Bayreuth Geschichten, über das Engagement von Behinderten in seinen Stücken, die Arbeit am Operndorf und den Filmen, den vielen, vielen, bizarren, bizarren Filmen - alles ist in diesem Buch, teils in Form von Interviews, teils in Form transkribierter Tonbandaufzeichnungen die Schlingensief selbst machte, bevor er verstarb.


Und man muss sicher so oft lachen wie schlucken in diesem Buch. Er ist so klug wie wild, so hintersinnig kritisch wie provokant, so organisiert wie gewollt chaotisch in seiner Kunst. Neben meinem Schreibtisch hängt im Rahmen ein Bild seines Animatographen, den ich in einer unvergessenen Nacht in Neuhardenberg sah, schreiendes Schwein, verwesender Hase und Raketenabschussbasis dazu. Christoph Schlingensief gab damals eine Einführung dabei in herrlicher Assoziationskette Dinge erklärend, die mit dem Abend, aber auch mit allem anderen und nichts davon zu tun hatten - und alle richtig für den Moment klangen. Danach hab ich ihn geliebt.


Die gesammelten, reichen Gedanken eines unserer besten Künstler, dessen größtes Verdienst es vielleicht ist, dass er nir angekommen ist, nicht im Mainstream, nicht in der Behaglichkeit. Aber bei denen, die er mal vor den Kopf stieß und ein anderes mal im Herz berührte und beim nächsten mal das Denken auf Trab brachte, bei denen ist er angekommen.