Yasushi Inoue: Das Jagdgewehr suhrkamp 98 Seiten

Dieses kleine Buch, eine Erzählung aus den 60er Jahren, bedient sich der Technik zweier anderen berühmter Japaner, des Filmemachers Kurosawa und seines Films Rashomon von 1954, der wiederum auf einer Geschichte aus dem Buch Rashomon von Akutagawa Ryūnosuke aus den 20er Jahren basiert.

Aus verschiedenen Perspektiven wird ein Ereignis geschildert. Wahrheiten kann es so nicht geben und wie sehr sich die Einschätzungen einander nahestehender Menschen unterscheiden können, wie ganze Ehen auf einer Lüge basieren, die aber sowohl glücklich wie unglücklich machen kann - davon erzählt Inoue. Aufgeschrieben wurde die Geschichte von einem Dichter im Buch, einem vermeintlich neutralen Medium, das der Geschichte Realitätswert gibt - auch das eine Mode des postmodernen Schreibens.


Der Dichter veröffentlicht ein Gedicht in einer albernen Jagdzeitschrift und bekommt darauf Post von einem Mann, der sich direkt angesprochen fühlt, ja glaubt, er sei der im Gedicht angesprochene Jäger. Ein Umstand, der so manchen Autoren ereilt: dass Menschen glauben, es werde über SIE gesprochen in einem Roman, der Autor habe nur andere Namen verwendet. Zugleich eine Auszeichnung für den Autor offenbar sehr glaubwürdig zu erzählen, auch eine Last, weil hinter der Annahme (oder den Klagen der vermeintlich Portraitierten) die Kunst, die schöne Fiktion in den Hintergrund gerät.

Jedenfalls fühlt der Jäger in dieser Geschichte sich so sehr von dem Gedicht angesprochen, dass er dem Dichter drei Briefe anvertraut, an ihn geschrieben von drei Frauen, Lebensbeichten und Abrechnungen allesamt. Der Jäger begreift die Briefe offenbar als eine Art Erklärung für den Umstand, dass der Dichter „ihn“ in seinem Gedicht als so einsamen Menschen zeigte. Die drei Frauen zeichnen ein Bild von sich und dem angesprochenen Mann, das wahrlich nicht schmeichelhaft ist. Einsamkeit und Betrug, Lügen, ein sozialer Maskenball, der zwei der Beteiligten das Leben verhagelte und Glück verhinderte, andere hingegen, auf eine eigenartige Weise auch glücklich machte.


Schön ist wie alle drei Briefe einander in bestimmten Momenten berühren, in solchen die für die drei um diesen Mann kreisenden Frauen von Bedeutung, ja lebensentscheidend oder verändernd waren. Und wie unterschiedlich die Schilderung der Momente zum einen abe vor allem die Beweggründe davor und die Reaktionen danach waren. Auch wenn man von dem Jäger selbst am Wenigsten erfährt, glaubt man viel über ihn zu wissen am Ende. Und auch dass seine einsame Existenz in den Bergen mit seinem Hund und seiner Flinte eine gerechte Strafe scheint, für die Dinge, die er tat oder gerade nicht tat.


Ein fast schon klischeehaft japanisches Buch in seiner Reduziertheit und gleichzeitigen Poesie und Lebensklugheit. Ein Einblick in Ehen und Affären Anfang des 20 Jahrhunderts in Japan, in die gesellschaftlichen Zwänge und Regeln. Wie z.B. die hintergangene Ehefrau erzählt, dass sie ihren Mann demütigt, indem sie auf Partys mit Studenten geht, im Morgenmantel Majong spielt oder das Dienstmädchen nach Zigaretten ruft. Aus heutiger Sicht geradezu lächerliche „Taten“. Das Buch ist wie alle große Literatur ein im Kern zeitloses, ortloses Werk über alle kulturellen Grenzen hinweg. Das Leben und die Liebe, die verpassten Chancen, die Feigheiten und Lügen sind eine universelle Erfahrung, hier gebündelt in einem schönen, knappen und wahren Buch.