Thomas von Steinaecker: Das Jahr in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu träumen; S. Fischer 389 Seiten

Vielversprechend angekündigt als Buch über unser Arbeiten heute, ein Büroroman über den Druck der permanenten Selbstoptimierung am Arbeitsplatz bis weit hinein ins Privatleben, so brillant erzählt zum Beispiel in dem Dokumentarfilm „Work hard, play hard.“ Die erste Hälfte folgt dieser Idee noch: Es passiert faktisch nichts, nur dass Renate Meißner nach einer geendeten Affäre mit einem Vorgesetzten in einer Frankfurter Versicherung auf eine andere Stelle in München weggelobt wird. In diesem Setting wird aber eben das „Büroleben Heute“ sehr witzig und klug und anschaulich deutlich. Renate ist ein leicht zwanghafter, einsamer, sehr, sehr mit sich beschäftigter Typ mit verkorkster Familiengeschichte. Bis dahin nichts ungewöhnliches, aber Stoff für Romane auf jeden Fall.

Die cleane Bürowelt, in der man zugleich den Filterkaffe und die Fikusdünger zu riechen scheint, dann wieder die Stille spürt vor diesen absolut schallisolierten und sich selbst verdunkelnden Fenstern in der x-ten Etage, dazu das hohle Kundengequatsche, routinierte, verblödete Abläufe und bizarre Wertvorstellungen in einer Versicherung werden kontrastiert mit dem grotesken Privatleben der Frau, die offenbar eine Weile Müll sammelt, Post-its mit Stichworten beschreibt - erster Punkt immer: „Oma“, eine Frau, die mit ihrer einzigen Freundin nicht klar kommt und keine Familie hat, jedenfalls keine lebende, mit der sie etwas anfangen könnte. Das Buch ist immer wieder durch Fotos, Kopien von Schmierzetteln, Post-its begleitet, die Renate produziert. Das ist eine hübsche Idee und Ergänzung zur Ich-Erzählerin, deren Wahrnehmung man immer weniger vertraut. Aber all die Fotos bedeuten für sich gar nichts, sondern nur im Kontext dieses Lebens, das durch ein Foto für einen Moment aus der Fiktion in die Wirklichkeit rüberkommt - was immer die auch sein mag.


Renate entwickelt irgendwann jedenfalls die pathologische Idee, dass ihre Großmutter, deren Verschwinden sie als Ursache des Scheitern der gesamten Familie betrachtet, noch lebt. Die fixe Idee trägt das Buch auch in die zweite Hälfte, die irgendwo in Russland, in einem surrealen Vergnügungspark spielt, wo Renate eine zukünftige Kundin der Versicherung besucht und ihren Aquirierungsversuch auch noch durchzieht, als sie erfahren hat, dass ihre Abteilung in München, inklusive ihr, dichtgemacht wird.

Diese letzten 150-200 Seiten wären als absurder Höhepunkt in jedem Fall zu lang gewesen, sind aber auf eine mich jedenfalls ermüdende Art auch noch elliptisch fast bis zur Unerträglichkeit geschrieben: immer wieder das Hotelzimmer, der Park, der Assistent der Vergnügungsparkchefin, die deutsche Zwangsneurotikerin inmitten russischen Irrsinns und die „Frage“; trifft sie die vermeintliche Oma, oder nicht, kommt raus, dass sie gefeuert wurde oder nicht, schafft sie es unbeschadet durchs Buffet usw.. Das reichte für ein Kapitel Ausflug aus dem Bürotristesse und einen schönen Kontrast, aber all das und die Spannung, ob die alte Dame nun wirklich die Oma von Renate ist, trägt nicht über so viele Seiten und bringt auch die eigentliche Geschichte, vom Aufstieg und Scheitern einer Bürofachkraft in der Versicherungsbranche, nicht zu Ende. Das Buch im ersten Drittel schön zu Lesen machen, sind diese Kommunikationshöllen am Arbeitsplatz und den angrenzenden Bereichen von Leben. Dann franst das Buch aber aus und folgt dem einen Faden, der mich jedenfalls nicht halten konnte.