F.Scott Fitzgerald: Der große Gatsby, dtv, 250 Seiten

Eine Novelle eher als ein Roman, aber auch nach 90 Jahren gegenwärtig, sicher kein historischer Stoff, sondern ein menschliches Lehrstück. Wie Moby Dick zugleich sehr amerikanisch und universell. In diesem Fall frei flottierende Männer und Frauen, die es nach ganz Oben bringen wollen - egal wie oder dort oben schon sind und ein hohles Leben zu führen scheinen.

Bei Gatsby ist der Antrieb die Liebe zu Daisy, sein weißer Wal. Zugleich Antrieb wie Hirngespinst, fixe Idee, die über Jahre konsequent vorangetrieben wird bis sie gelingen MUSS.


Darin enthalten ist zugleich unternehmerischer Geist a la USA und totale Risikobereitschaft, mancher würde sagen Rücksichtslosigkeit - auch sich selbst gegenüber. Darin enthalten wie bei Mad Men ein Mann mit falschem Namen, der ein neues Leben beginnt, der sich aus den Konventionen seiner Herkunft nur so glaubt lösen zu können. Ein Mann der auf krummen Wegen, möglichst schnell das erreicht, was anderes als ihr eigentliches Ziel definieren: Wohlstand, Reichtum. Dazugehören. Gatsby will aber nur Anerkennung von einem einzigen Menschen - die Speichellecker und Günstlinge, Party Motten und Krümelaufleser, die sich um ihn scharen und ihn verachten, sie sind ihm egal. Wie auch die Verachtung der anderen Reichen, die es riechen können, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmt.

Und das vielleicht die gesellschaftliche Ebene, die noch Heute den Mythos vom „Tellerwäscher zum Millionär“ entlarvt: Gewisse Kreise werden Geld allein nie als Kriterium für Erfolg akzeptieren. Die Herkunft war im Amerika der 20er einfach noch sehr europäisch gedacht. Ein Barrack Obama ist erst heute, fast 100 Jahre später möglich - und nicht nur wegen seiner Hautfarbe.


Gatsby will die Achtung von einer einzigen Frau,. Sie versprach ihm durch ein Gefühl einige Jahre zuvor, er könne ein ganz anderes Leben haben. Wie ein Ritter auf der Suche nach dem Gral verschreibt sich Gatsby dieser einen Sache - und als er sie wieder trifft, nimmt das Schicksal seinen schon erahnbaren fast katholischen Lauf.

Jazz Age nannte Fitzgerald die Zeit, aber Jazz kommt in dem Buch eher ironisch vor, wenn er die Songs der Saison lächerlich macht und die Leute, die darauf tanzen wie Fliegen beschreibt, die am Honig kleben. Auch das ja keine unbekannte Haltung gegenüber Popmusik oder heutigen Casting Show Stars. Und die Auflösung der Familie, die fremdgehenden Männer, die männerfressenden Frauen, die ehrgeizigen Jungesellen an der Wallstreet, die Verbindung von Unterwelt und Oberklasse, die Tristesse des Reichtums auf weißen Sofas, die leeren Gespräche und hohlen Gefühle - alles ist heute wie damals Stoff und Wirklichkeit. Je nachdem mit wem man spricht.


Ein sehr elegantes, ökonomisches Buch, zugleich geschwätzig und sehr präzise, manchmal im direkten Wechsel. Aber über allem die ewige Frage: Was soll das alles, das Wollen, wenn die, die alles haben, SO leben wie hier beschrieben.

Und das Paradox: Fitzgerald selbst war Teil dieser Partymeute, der hohlen Phrasen und schnellen Autos und Frauen - aber er hat ein Buch darüber geschrieben und sich so aus der Distanz selbst versichert, eben NICHT dazu zu gehören. Wie der Erzähler des Buchs dessen Geschichte so JETZT erzählt von dem traurigen, fanatischen, sehr einsamen und amerikanischen Helden.