Richard Ford: Die Lage des Landes, Berlin Verlag 681 Seiten

Ein fettes Buch. Details, Details, Details und für einen amerikanischen Roman so gut wie kein Dialog. Fast 700 Seiten aber mehr oder minder nur 3 Tage Handlung darin verarbeitet. Das Leben ist eben genau betrachtet sehr, sehr komplex und dicht. Es ist meine zweite Lektüre des Romans nach der englischen Fassung. Die Lage des Landes (in Englisch doppelsinniger mit The Lay (auch: die Ballade) of the Land) ist ein Roman, den man immer und immer wieder lesen kann. Vielleicht weil er gar nicht über einen Mann, einen (nicht existenten) Ort und eine bestimmte Zeit erzählt, sondern eher eine Erzählung vom modernen Mann, seinen Abgründen und Wünschen, seinen Unzulänglichkeiten und Talenten, seinen Worten und Taten ist.


Richard Ford hat mit Bedacht als Zeitpunkt seines Romans Thanksgiving 2000 gewählt. Denn er wollte zum einen wie in den beiden Vorgängerromanen der Bascombe Reihe (Sportswriter und Independance Day (Pulitzer Price 1996)) das Geschehen rund um einen Feiertag schildern und zum anderen Amerika VOR dem 11. September 2001 zeigen. Weil er glaubt, dass alles, was danach mit dem Land geschah - die Paranoia, der Fremdenhass, die autistische Selbstbezogenheit, der Konsum als Ersatzreligion, die zerfledderten Famillien, die pathologische Umgang mit dem Land, die Vorstädte und ihre Mentalität der Abschirmung und die Gewalt - dass alles schon lange vor 9/11 vorhanden war.  Nur danach komplett außer Rand und Band geriet.


Doch es geht gar nicht so sehr um die großen historischen oder kulturellen Vorgänge in den USA. In diesem ausufernden, witzigen, scharfsinnigen, klugen und (trotz der endlosen Beschreibungen) nie langweiligen, sehr präzisen Buch Roman geht es um Frank, Mitte 50, krebskrank, aber auf dem Weg der Heilung, aufgrund einer unfassbaren Geschichte gerade in Trennung mit seiner Frau und in Gedanken an die Ankunft seiner Kinder, von denen er wie überhaupt von Menschen irgendwie entfremdet scheint. Er will (kurz vor der ersten Krise) Häuser verkaufen, wohnt einer Sprengung bei, eine Bombe geht hoch (alles schon Hinweise auf die Zukunft), er versackt in einer Kneipe, seine Kinder kommen zu Besuch, mit ihren eigenartigen Partnern, und am Ende, nochmal ein Hinweis auf das, was am 11.9. bald geschehen wird, kommt es zu einer Schießerei. Einfach ein Detail mehr. Nichts besonderes in diesem Land.


Frank schüttelt den Kopf über seine zwei Kinder, seinen Sohn, den er für einen Halb-Irren hält und seine Tochter, die er sehr liebt, wie alle Väter ihre Töchter, aber nicht sicher ist, was für eine Rolle er für sie spielt - außer als Problem-Bär. Also verhält er sich entsprechend defensiv und, ja, eigenartig. Dann gibt es da noch seine Ex-Frau (die Mutter der beiden, von Frank seit fast 2 Jahrzehnten getrennt), die offenbar auch gerade eine „Phase“ durchmacht und über eine Reunion nachdenkt, sowie Franks tibetanischer Angestellter im Immobilienbüro, der die typische Einwandererkarriere hinlegt, sowie ein alter Freund, mit dem er eine Haussprengung anschauen fährt - das sind mehr oder minder die Hauptfiguren. In Franks Erinnerungen tauchen auch noch ein toter Sohn, seine zweite Frau und einige andere Menschen aus seiner Vergangenheit auf, aber insgesamt ist Frank ein eher einsamer Mann - ohne dass er das wüsste oder darunter litte.


Alle und alles wird aus der Sicht und in der Sprache und in Interpretation von Frank erzählt. Wir vertrauen ihm als Erzähler, er hat einen genauen Blick, hat Witz und ein gutes Sensorium für all diese eigenartigen Menschen in den Vorstädten und Kleinstädten. E neigt alledings beim direkten Sprechen und Handeln zu Apeasment, Feigheit und Konfliktvermeidung, versucht alles wegzulachen, auch wenn ihm nicht danach ist, versteht allerleuts Motive sehr gut, aber wenn er selbst gefordert ist zu Handeln verzögert er und entkommt eindeutigen Entscheidungen. Er ist also wie die meisten von uns.


Frank kommt zu sehr witzigen, klugen Erkenntnissen über die Spezies Mensch, genauer die Spezies amerikanischer Mensch aus New Jersey (wo ja auch Tony Soprano, Bruce Springsteen herkommen) am Anfang des Jahrtausends, kurz bevor Georg W. Bush die Wahl stiehlt und das Land in Terrorangst, Paranoia, Kriegstreibertum und unfassbaren politischen Vorgängen sein letzen Rest Unschuld und Ehre zu verspielen droht.

Frank ist Teil eines überkomplexen Geschehens und viel zu sehr mit sich und seinem Leben, seiner Krankheit und dem Versuch beschäftigt sich (und uns) zu erklären, wie es mit ihm und seiner Familie so weit kommen konnte, um zu erklären, wie es mit dem Land so weit kommen konnte.

Ein rundum großartiger, voller, erstklassiger Epochenroman. Für mich mit das Beste, was in den letzten 10 Jahren aus USA an Büchern zu uns rüber kam. Nachdem ich Teil drei der Trilogie nun erneut gelesen habe, lasse ich bald auch wieder Teil Eins und Zwei folgen. Denn: Frank ist wir alle oder so, wie wir alle irgendwann sein werden. Na ja, fast alle.