Tom Rachman: Die Unperfekten, dtv 395 S.

Kein Wunder dass die Zeitungsrezensenten sich überschlagen. Arbeiten die meisten doch genau in dem Umfeld, in dem der Roman spielt. Oder genauer: in seiner romantisierten Traumvariante: In einer amerikanischen Zeitung (New York Times die Beste Zeitung der Welt /Washington Post: Watergate etc.) und das Ganz auch noch in Rom (Dolce Vita /Traumberuf Auslandskorrespondent).


Jedenfalls wurde das Buch mit Rezensionen und Interviews beschenkt, die auch immer den Ruch einer Selbstreferentialität des Mediums Zeitung haben. Romane oder Sachbücher von Kollegen haben eben bessere Chancen, groß und auch gut besprochen zu werden (Bei "Die Unperfekten": z.B. riesiges Interview mit dem Autor im SZ Wochenendteil, viele tolle Zitat-Blurbs auf dem Buchumschlag durch all die Kollegen, Die Zeit zitiert die New York Times usw.).

Denn das Buch erfüllt zugleich auch den heimlichen Traum so vieler Tagesjournalisten: jeder kennt einen, der gerade an einem Buch arbeitet oder jedenfalls seit Jahren davon spricht, eins schreiben zu wollen. Und Tom Rachmann hat es getan. Und das lesenswert und spannend. Wenn es auch trotzdem nicht DER Roman des Jahres ist - dafür ist er sprachlich manchmal etwas zu nüchtern und faktenfixiert, schön gebaut, aber doch am Spannendsten für alle, die "was mit Medien" machen. Sprachlich vergleichbar vielleicht mit den Büchern von Alexander Osang, dem deutschen Journalisten, der auch Romane kann.


In DIE UNPERFEKTEN schreibt keiner Romane. Alle machen einfach ihre Arbeit wie sie nunmal ist: Schnell, meist zu schnell und hektisch, sie tun dies vermeintlich versiert (auch natürlich viel Blenderei wie überall), mit Erfahrung und der berufsnotwendigen Neugier und Beharrlichkeit (100 Anrufe, Nachfragen, Nachhaken, sich nicht abwimmeln lassen, Blut lecken etc.), mit Routine (schnell noch die Seite 7 vollmachen mit einem Text voller Floskeln und Agentur-Textbausteinen) und mit einer dicken Priese Egozentrik (warum ist der auf Seite eins und mein Text unten auf der vier?) und Selbstüberhöhung (Wir sind der lebendigste Teil der Demokratie, wir sind die Ordnungskräfte der Öffentlichen Meinung, wir sind die, vor denen die Politiker und Korrupten, die Lügner und Kriegstreiber zittern müssen). Und dann sind es auch Menschen, die bei aller Professionalität ihre Sorgen, Selbstlügen und Probleme durchs Leben tragen, deren Leben die Zeitung ist oder doch das Leben selbst.


Das macht von Anfang an Spass zu lesen, ist komisch und treffend und genau. Der Kniff des Buches ist, in den Kapiteln jeweils aus der Perspektive einer Person aus der Redaktion bzw. dem Leben dieser Zeitung zu folgen, also der Chefredakteurin, der Wirtschaftsreporterin, dem (späteren) Kulturchef usw., so dass sich am Ende ein Gesamtbild der Charaktere und Herangehensweisen innerhalb dieser Zeitung und einer Art Zeitungsgeschichte dieses Blattes ergibt.


Zeitungsjournalisten, ein Beruf, der offenbar in dieser Form vom Aussterben bedroht ist. Jedenfalls wenn man all die Redaktionsverkleinerungen, Korrespondenten Steichungen und schmaler und schmaler werdenden Blätter dieser Welt betrachtet. Online killed the Newpaper Star, wird eine Schlagzeile irgendwann heißen. Nur noch schlanke Online Redaktionen und Blogs und Häppchen von Agenturmeldungen wird es wohl eines Tage geben, die den Eindruck vermitteln, man wisse Bescheid, aber hat eigentlich nur die Oberfläche berührt - wenn überhaupt. Diese Art Zeitungsbildung ist wie der Eindruck satt zu sein, obwohl man nur eine Tüte Popcorn gegessen hat - und sich damit genau vom Gegenteil (news- und nahrungsmäßig) ernährt, wie die Figuren des Romans, die all das tolle italienischen Essen genießen, wilde Debatten über vergessene Autoren und Politiker, über INHALTE führen, die Träume von einem Scoop haben, aber vor allem von der Erinnerung an die wilden-großen Zeiten der 60er und 70er des Journalismus leben. Schönes Buch.