John Wray: Die rechte Hand des Schlafes Berlin Verlag 382 Seiten

Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch erst Jahre später durch Wrays zweites Buch,  Retter der Welt, das sehr gute Besprechungen erhielt. Wrays Erstling erschien 2000 in den USA und zwei Jahre später auf Deutsch. Es ist nicht nur recht dick geraten, sondern auch thematisch ambitioniert: ein historischer Roman angesiedelt in einem österreichischen Dorf kurz vor dem Anschluss Österreichs 1938 mit Rückblicken in den Ersten Weltkrieg und später auch den Umsturzversuch 1934 in Österreich.


Solide US amerikanische Erzählweise: klar, Dialog betont und einen sanften Spannungsbogen erzeugend. Aber ab der Mitte verliert es an Fahrt und Kohärenz und zum Ende hin wirkt es leider schal und leer.


Oskar Voxlauer geht als junger Mann in den ersten Weltkrieg, kämpft an der österreichisch italienischen Front, desertiert aber bald und schlägt sich zu den Bolschewiken in der Ukraine durch ohne je einer zu werden. Das Buch beginnt mit seiner Heimkehr in ein Kärntner Dorf viele Jahre später und erzählt in Rückblicken von seiner Zeit an Front und im Kommunismus.

Zu Haus auf dem Dorf haben die Zeiten sich gewandelt, die Nazis übernehmen langsam das Dorfleben, der Freund Ryslavys, wird als Jude zunächst nur angefeindet, bald schon offen angegangen. Voxlauer wohnt irgendwo in den Bergen in einer stinkigen Hütte von Rylavys, will sich aus allem raushalten, verliebt sich aber in ein Mädchen - die Cousine des örtlichen Naziführers.

Irgendwann gibt es nicht mehr Rückblicke von Voxlauer, sondern von diesem Cousin Bauer, SS Führer und in den Mordkomplott an Kanzler Dollfuß verwickelt. Ansonsten wird viel gewandert, gegessen getrunken und klug dahergequatscht ohne was zu sagen. Das dörflich urtümliche, nicht selten reaktionär-.alkoholisierte dieser Welt wirkt treffend beschrieben und trotzdem nebensächlich. Worum es aber eigentlich gehen könnte, vermag ich auch nicht zu sagen.


Es entsteht keine Spannung aus der Figurenkonstellation und auch nicht aus der Handlung. Der Nazi und der Ex-Kommunist/Deserteur treffen eine Art Friedensabkommen und Volxlauer  ist ansonsten einfach mit seiner Else, Bauers Cousine, zusammen.  Der manchmal drehbuchhafte Stil, seitenweise Dialoge, treiben meist einfach so dahin, wirken aufgesetzt ohne dass ihr Kern erkennbar würde, ohne dass sie selbst Dynamik oder Spannung wecken könnten. Die ausgetragenen Konflikte wirken gewollt, die Figuren haben nichts vor. Auch nicht miteinander.


So geht es dem gesamten Roman irgendwann. Man wartet, dass etwas passiert, aber das tut es nicht, außer das Erwartbare, das dann fast harmlos daherkommt: der jüdische Freund wird bedroht, sein Wirtshaus verwüstet, die alte Mutter stirbt.

Voxlauer gebärt sich wie ein Außenseiter und sturer Hinterwälder, obwohl er doch der Sohn der einzig „bürgerlich humanistisch Gebildeten“ im Dorf ist. Davon spürt man bei ihm nichts, weder als bewusste Abkehr von diesen Wurzeln, noch durch ein Bekenntnis zu seiner Herkunft. Er will nur in Ruhe gelassen werden. Das ist zu wenig für 400 Seiten.


150 Seiten weniger, als Erzählung vielleicht, hätte es funktioniert: Der Anfang ist oft dicht und das Geheimnis von Voxlauer treibt die Geschichte zunächst an. Irgendwann nicht mehr und dann halten einen auch die oft gelungenen Naturbeschreibungen nicht mehr bei der Stange.

Warum Wray zur Mitte hin von den eingeschobenen Rückblicken in Ich-Perspektive des Voxlauer (im Krieg, in der Ukraine etc.) auf die Ich-Perspektive des Nazis Bauer in Wien und München und Berlin wechselt, bleibt rätselhaft. Ebenso, warum ein deutscher Verlag dieses Buch herausbrachte. Es lässt sich eigentlich nur erklären, weil Nazi-Themen offenbar immer gehen. Wrays Buch war in dieser Hinsicht so eine Art Vorläufer der nach 2002 bald einsetzenden Erinnerungsliteratur der 3. Generation nach A.H. - von Arno Geiger bis Julia Franck.


„Die rechte Hand des Schlafes“ ist zu lang und zu mäandernd, sprachlich manchmal gelungen. Aber Wray überhebt sich am Thema bzw. schafft es nicht, die großen historischen Geschehnisse wirklich im Geschehen eine kleinen Dorfes und seiner Bewohner zu spiegeln. Alles wirkt zu weit weg und zu wenig berührend.