Dieter Thomä: Väter - eine moderne Heldengeschichte; Hanser, 367 Seiten

Väter sind wie Fußball. Jeder hat was dazu zu sagen und weiß, wie man das Spiel spielen sollte. Väter sind wie Berge, man sieht sie vermutlich aus der Distanz klarer, als wenn man direkt vor ihnen steht. Und Väter sind fleischgewordenes Paradox: Sind sie da, wollen alle sie weiter weg haben, sind sie nicht da, dreht sich viel um die Leerstelle. Darüber und über die Geschichte von Vaterschaft mit Blick auf Kunst und Philosophie und die Veränderungen und Verwerfungen von Familie im Kapitalismus und der westlichen, bürgerlichen Gesellschaft schreibt Thomä. Die Einleitung macht Lust zu lesen, kluge Hinweise, witzige Bonmonts, kluge Kurzanalysen und Entwicklungslinien zeichnet er. Auch die erste Hälfte des Buches liest sich spannend, die (zum Teil recht freien) Assoziationen von Thomä, wie der Vater wurde, was er war machen Spass. Bis er allmählich dahin kommt, wie der Vater wurde, was er heute IST. Und da nicht über das Niveau eines Leitartikels hinauskommt. Seine Erklärungen für (nichtmal belegtes also angebliches) Verhalten vieler Väter heute wirkt platt und überraschend simpel argumentiert oder hergeleitet für einen Autor dieser Qualität.


Die Väter von damals und heute sind oft nur der Aufhänger für ihn über Familie als Ganzes zu schreiben und natürlich auch über die Mütter, die nicht explizit erwähnt werden, aber nicht selten eben (auch im Buch) das ausfüllen, was der Vater als Lücke lässt. Der Vater unterliegt Moden und Geschmäckern, aber als Person von familiärer Bedeutung, auch noch in seiner ABwesenheit, gelangt er erst in der Moderne, während der Aufklärung und den folgenden Revolutionen, wo mit der Abschaffung von Gott und Kirche und Königtum auch gleich die daran angelehnte Vaterschaft (der Patriarch, der Herrscher im Haus) in die Krise gerät und kurz vor dem Sturz steht. Den Sturz oder Bruch macht der Vater dann aber vielerorts überflüssig, weil er gezwungen von der modernen Arbeitswelt ohnehin selten da ist und der große Abwesende vom Familienleben: Arbeiten geht er. Während früher alle in der Familie, auch die Kinder, zum Überleben des Clans beitrugen, wurde das Adelsprinzip (Papa arbeitet, Mutti macht Familie) in den letzten 200 Jahren gesellschaftsfähig auch in anderen Kreisen. Und das ist es bis heute geblieben, wo viel über die „neuen Väter“ geschrieben wird, die entweder Waschlappen scheinen und/oder ihrer Rolle als Mann und Vater nicht mehr trauen (oder sich nichts zutrauen).  Oder sie verschwinden in der Selbstverwirklichung und werden gar nicht mehr Vater, weil Arbeiten und Reisen und die vielen Optionen des Lebens immer irgendwie dazwischen kommen.


Indidvidualismus und Vaterschaft, heißt ein Kapitel - beginnt mit der französischen Revolution und mündet in die Vaterlosigkeiten - die der Vergangenheit (Arbeit, Krieg, Lesesessel) und der Gegenwart (Nicht Vater werden wollen). Die 60er des 20. Jahrhunderts und die Folgen in den kommenden Jahrzehnten bis heute beschreibt Thomä spannend, auch die wirren Experimente der „Kinderläden“ wie den Versuch, Kinder von den Eltern fern zu halten, auf dass sie zu wirklich freien Individuen werden mögen. Eine Idee, die grotesker, geschmackloser Weise auf Basis von Kinderbiografien aus Auschwitz basiert. Der Bruch mit der Nazieltern-Generation gebar jedenfalls nicht nur schöne Zeiten für damals Aufwachsende.


Und heute? Dazu findet auch dieser Autor nur zu recht oberflächlichen und weithergeholten Analysen und Erklärungen. Späte Elternschaft, die Rabenmutterdebatte in Deutschland, die Helikoptereltern, die Ein-Kind-mein-König Eltern, die Kinder als Trophäen usw. usf. - alles schon gelesen und gehört und alles so befremdlich, wie manchmal witzig, aber kaum zutreffend. Thomä leidet wie das Feuillleton und die Elternzeitschriften an der Überhöhung der bürgerlichen Mittelschicht (am besten noch im Prenzlauer Berg), die absolut genommen für „unsere Gesellschaft“ herhalten soll. Auch wenn sie bei uns größer ist, als in vielen Ländern: darunter und darüber, links und rechts davon gibt es noch viele, viele anderer Formen von Vaterschaft und Familie. Die kommen im Buch genau so selten vor (höchstens als Beispiel für Vernachlässigung und Verwahrlosung), wie in den Feuilletondebatten und Zeit-Dossiers.


Am Ende bleibt eine Erkenntnis. Vaterschaft ist, was man daraus macht. Und man macht das daraus, was man selbst gelernt hat oder ganz anders machen will - und dabei doch nur das Echo seiner Eltern ist. Ob Eltern dabei viele Ratgeber lesen oder keine, ob sie ihre Kinder vegan ernähren und Schulen casten und Erzieher wahnsinnig machen oder ob sie locker sind und versuchen, der beste Freund der Kinder zu sein - das hängt dann doch vom Typ ab und nicht von einem Zeitgeist. Und ob daraus funktionierende Familien werden, das weiß niemand. Ob Glück auch mal Reibung braucht oder ganz viel Verständnis, ob der Vater mehr Mann oder mehr Frau sein sollte, ob er Vorbild oder Gleichgesinnter sein sollte, Autorität oder Partner... wer weiß das schon?