Paul Morley: Earthbound; Penguin Books, 136 Seiten

Im Jahr 2013 feierte The London Underground Railway, die Londoner U-Bahn, ihren 150. Geburtstag. Der erste Zug fuhr für die Metropolitan Railway am 10. Januar 1863 von unter der Erde von Paddington zur Farrington Street. Zum Jubiläum der ältesten U-Bahn der Welt haben sich die Briten etwas angenehm Exzentrisches ausgedacht: Im Penguin Verlag erschien im vergangenen Jahr ein 12-bändiger Schuber. Jeder der zwölf Linien der Tube – Bakerloo, Central, Circle, District, East London (heißt leider inzwischen London Overground – skandalös!), Hammersmith & City, Jubilee, Metropolitan, Northern, Piccadilly, Victoria, Waterloo & City –  ist ein eigenes Taschenbuch gewidmet, in dem Autoren einen Essay über „ihre“ U-Bahnlinie schreiben. Londoner U-Bahn-Linien haben nämlich Namen und nicht tumbe Buchstaben oder Nummern – hört ihr das New York oder Berlin? Deswegen haben sie auch Persönlichkeit und sind es wert, dass man über etwas Anderes schreibt als langweilige Touri-Bücher. Natürlich kann man diese zwölf Bücher auch einzeln kaufen, but that would be shabby and cheap, as I think we can all agree.


Der Musikjournalist Paul Morley hat unter dem Titel „Earthbound“ über die Bakerloo Line geschrieben. 1979 kam er in die Stadt und zog im Londoner Nordwesten in die Nähe der Finchley Road an eben dieser Bakerloo Line. Morley war damals zwar erst 22, aber er war nicht irgendein Musikjournalist, denn er schrieb für den New Musical Express kurz NME. Und deswegen spielt die Musik in seinem Buch eine mindestens ebenso große Rolle wie die Tube. Morley meditiert nicht nur über das Braun, das die Bakerloo Line auf der Tube Map kennzeichnet (Diese Tube Map ist ein echtes Wunderwerk des Gebrauchsdesign. Auf keiner U-Bahn-Karte der Welt kann man sich besser orientieren, als auf der Tube Map.) und vergleicht es schließlich mit dem Band der guten alten Musikcassette. Er schreibt auch über den Post Punk, seinen ersten Walkman, Stockhausen und Brian Eno. Aber vor allem schreibt er über Can. Dann wird das Bakerloo Brown zum Hashish Brown – (ich würde eher sagen, es ist ein Liverwurst Brown, was ja irgendwie auch besser zu den deutschen Krautrockern passen würde. Wobei  Ege Bamyasi oder Tago Mago nicht nach Leberwurst klingen, schon eher nach Hashish.).


Wenn sich das jetzt alles etwas kryptisch anhört – ich kann versichern, das dem nicht so ist. Morley mäandert großartig durch die Londoner Underground- und Musikgeschichte. Die alte Tante BBC und ihr etwas spinnert verzottelter Onkel John Peel kommen dabei ebenso vor wie Google, Dr Who und Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz‘ Aufsatz „Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik“, übrigens ebenfalls 1863 veröffentlicht. „Earthbound“ ist damit ähnlich verzweigt, wie die Londoner Tube. Einfach mal lesen: 136 Seiten, rund 20.000 Worte und als dünnes Taschenbuch perfekt für die U-Bahn-Fahrt.


STEFFEN WAGNER