Katja Kullmann: Echtleben - warum es heute so kompliziert ist, eine Haltung zu haben, Eichborn, 255 Seiten

Es scheint zunächst ein Buch über Großstadttypen, die in Medien und Kunst und Mode und Musik unterwegs sind und dabei gut aussehen, viel rauchen und trinken, auch palavern und Bescheid wissen. Aber der Durchbruch, der richtig fett Erfolg kommt entweder nicht oder kommt ein bisschen und ist dann so schnell vorbei wie eine Sylvesterrakte vergessen. So veröffentlicht der eine alle halbe Jahr drei Fotos in einer Modezeitschrift, einer hat mal ein Literaturstipendium bekommen, eine andere treibt sich schick gemacht mit superteuren Markensachen immer an den richtigen Orten in Berlin Mitte rum, auch als sie Schulden hat und schon lange keine Arbeit mehr - aber es könnte ja doch passieren, dass sie einer entdeckt engagiert usw. Diese Leute sind aber nicht naive Anfang-Zwanzigern sondern gehen alle auf die 40 zu. Und wo? Natürlich in Berlin. Das ist vermutlich das Tragische an ihren Geschichten und deshalb wurde das Buch auch überall rauf und runter besprochen: Berlin, Kreativwirtschaft, Medien. Frau Kullmann ist selbst Journalistin, schrieb zwei Bücher (was alle Journalisten immer wollen), saß in Talkshows und brachte Ende der 90er Anfang der Nuller zu einer gewissen Bekanntheit. Und dann schrieb sie vor zwei Jahren diese Geschichte von Aufstieg und Fall einer Journalistin auf, die symptomatisch scheint für unsere Zeit und die Generation der 30-45 Jährigen. Symptomatisch zumindest für die 20%, die nicht in den ganz normalen Berufen dieses Landes arbeiten, sondern selbständig, Projektritter oder frei flottierende Medien- und Kunstmenschen sind.


Katja Kullmanns Figurenkabinett ist zum Teil grotesk, manchmal witzig und nicht selten einfach nur Klischee. Die haben ja bekanntlich alle ihren wahren Kern, aber trotz einiger sehr treffender Charakterisierungen (die vermutlich von verschiedenen Personen im Buch in eine einzige einflossen) langweilen dennoch auf den ersten hundert Seiten die Aneinanderreihungen von Typen aus Berlin. Nicht nur Leute, die nicht wenigstens einmal in Berlin oder Hamburg gewohnt haben, fragen sich irgendwann: Na und, wen betrifft das schon, diese paar Hansels da, und das soll was über unsere Zeit aussagen? Sehr feuilletontauglich und recht erratisch werden da Portraits, Zeitanalysen, kleine Reportagen aus dem Herz der „Kreativwirtschaft“ aneinandergefügt, viele Kapitel könnte genau so in der Zeit oder auf Seite 3 der Süddeutschen landen. Was ja nicht so schlecht ist, aber für ein Buch irgendwann zu --- ja zu banal. Das Echtleben, wie es Kullmann beschreibt, besteht im Kern um Hoffen und Aufschieben, das bei all den Großstädtern dann ganz gut und trotz Stillstand oder Ideenkrise dynamisch oder zumindest sexy aussieht.


Mitten im Buch, nachdem sie in alle Richtungen die heutige Arbeitswelt in den Medien und der Kreativbranche vorgestellt hat, erlebt die Autorin selbst ihre Epiphanie: Sie muss Hartz 4 beantragen. Ab da wird das Buch mit gelegentlichen Exkursionen zu Leuten die „normale“ Leben führen (eine Freundin im Reihenhaus, ein Unternehmensberater) eine Suche nach der Frage: Was ist schief gelaufen beim mir? Der Untertitel des Buchs, „Warum ist es heute so kompliziert eine Haltung zu haben“, führt aber in die Irre, denn auf den gesamten 250 Seiten geht es nicht um Haltung, oder Moral, oder den bösen Kapitalismus: es geht eigentlich nur um die Frage, was arbeitest du und wie siehst du dabei aus.


Auch wenn Frau Kullmann oft sehr treffend und witzige Worte für die Zumutungen findet, die die Arbeitswelt heute bestimmen, so geht es ihr (obwohl das so gut wie nie erwähnt wird) immer ums Geld. Das aus Arbeit. Und den Status. Aus Arbeit. Davon, nicht von Haltung zu irgendwas, handelt dieses Buch. Das Buch selbst ist gewissermaßen Beleg für das Happy End der „tragischen“ Geschichte von Frau Kullmann, die als gut ausgebildete Hartz Vierlerin hinfällt, dann aber wieder hochkommt: Denn nicht nur bekommt sie jenen sagenumwobenen Anruf „Hast Du Lust auf nen super Job?“, gerade als sie mürbe genug ist, am Supermarkt hinter der Kasse zu stehen, sondern auch das Buch selbst ist ja Beweis, dass sie ihr Leben wieder auf Spur gebracht hat. Schön für sie.


Ganz am Ende trifft sie dann auch noch eine Wegweisende Entscheidung: Sie kündigt, als das Schweinesytem 2.0, in dem der Medienmensch von heute lebt, wieder zuschlagen will. Eine Befreiung die Erkenntnis, dass man auch Nein sagen kann, weggehen kann, statt immer nur hinterherzulaufen: dem Geld, den Aufträgen, dem Prestige, den richtigen Bars und Klamotten, den richtigen Leuten, die einem vielleicht irgendwann beruflich was bringen. Das ist heute ein Teil der Arbeit. Und davon, und wie das aussieht und enden kann, handelt das Buch.