Nicholson Baker: Eine Schachtel Steichhölzer, rowohlt, 150 Seiten

Manchmal ist nochmals Lesen wie neu lesen und manchmal schimmert im Buch selbst und dem Nochmals-Tun das Verstreichen der Zeit selbst, macht melancholisch, macht froh. Und so ist dieses Buch als Re-Read immer und immer wieder ein Gewinn. Scheiß auf das gefühlsduselig Möchtegern-philosophische Esoterikgequatsche von Paul Coelho, diesem Rolf Zuckowsky der Literatur. Worum geht es im Leben? Ja, um die klaren Momente, die winzigen Augenblicke der Erkenntnis und der Freude daran und dem, was geschieht. Mehr braucht nicht erzählt werden. Und schon gar nicht erklärt.


Dazu reicht es ungewöhnlich früh aufzustehen, im Dunkeln einen Kaffee zu kochen und einige Wochen lang, mitten im Winter, einen Kamin zu entzünden und nachzudenken. Davon handelt dieses wunderbare kleine Werk. In detailreichen Beschreibungen der Kleinigkeiten, die das Leben schön und vor allem zu einem Kontinuum machen, erzählt er, von Erinnerungen der eigenen Kindheit und wie man Kindern erst die Haare mit Freude wäscht und dann eines Tages feststellt, dass sie nun allein duschen und die Tür abschliessen. Da schimmert schon die Zukunft und das eigene Alter in diesem einen Moment der Erkenntnis.


Nicholson erzählt davon wie eine Ente in einer Hundehütte den Winter überlebt und ihn die Tatsache aufwühlt, dass das Überleben an sich, der Hunger, der Durst, die Lust, die Freude und der Tod die festen Bestandteile von uns bilden, um die die Meere aus Tun und Wollen und Denken toben. Genau beschrieben wird, wie die Hauptfigur einen Kaffeefilter in die Maschine packt oder wie eine einsame Ameise aus einem Experiment weiterkämpft, während ihr Volk längst tot ist, wie er die Flammen  verschiedener Brennstoffe und die Temperaturen von Socken mit Loch schildert, wie sich eine Berührung anfühlt oder ein gutes Buch, wie kalt und dunkel der Winter ist, wenn man um 5 vor die Tür tritt.

Die Arbeit, kommt nicht vor in diesem Buch, wir erfahren nur, dass er da nach dem Frühaufstehen und Kinder zur Schule fahren noch hin muss. Was auch immer es ist. Es geht auch nie um Geld in dem Buch - vielleicht weil die Familie es ausreichend zur Verfügung hat, was der Leser durch die freudige Schilderung des Rechnung Verschicken Rituals ableiten kann. Aber auch darin die Beobachtung dass ein Stapel Umschläge in der Mitte (durch die Klebefalz) immer ganz hart ist, obwohl sie leer sind. Eine Metapher für das Leben according to Nicholson. Man könnte ihm mit seiner Sehnsucht nach einer Olivetti Schreibmaschine, dem Scheckausstellen statt Online und dem Feuermachen als Romantiker und Ewiggestrigen abtun, aber in einer Welt, die nur schneller wird, über Arbeit redet, hetzt und sich verliert im Herzeigen in sozialen Netzwerken und Emailchecken ist dieses Buch, diese Beschreibung von Tätigkeiten, die nur für den Mann allein Sinn und Moment haben, einfach die richtige Antwort.


In den nur scheinbar banalen Beschreibungen und in den 1000 anderen Dingen die man auch erzählen könnte, wird klar, woraus wir bestehen: Zum einen aus vergehender Zeit. Und was uns glücklich macht, ist nicht, was wir im Film oder Fernsehen als Glück vorgeführt bekommen, diese großen Heldenmomente aus Jubel, Klatschen, Freudentränen, der große Liebe im Arm, die Welt zu Füssen, die Hochzeit vor 100 Gästen oder endlich ins neue Haus zu ziehen: Was uns glücklich macht, sind die winzigen Momente, in denen wir bemerken, am Leben zu sein. Wirklich und Ganz. Wenn das ein gutes Leben ist, welches man da hat, es Leute gibt, die man liebt und von denen man geliebt wird, dann ist das was man fast buddhistische Erkenntnis nennen kann. Wer dieses Glück zu fühlen in der Lage ist oder die Momente sucht, findet in diesem Buch fast eine Anleitung zum Glücklichsein. Es kann jeden Augenblick passieren. Im Suchen und Müssen, im Weiter, Weiter finden wir leider dafür so selten Zeit. darüber nachzudenken, warum es so schön ist, mit seinem Sohn gemeinsam zu Friseur zu gehen und was eigentlich bleibt, wenn wir nicht mehr sind.