J.M. Cotzee: ELIZABETH COSTELLO; S. Fischer, 285 S.

Ein komplexes, schweres, saukluges, offenes, sich selbst widersprechendes, geistforderndes und geistförderndes Buch. Nicht so düster, hart und bitter, wie was man sonst von Cotzee kennt, erzählt er in 8 „Lehrstücken“ über die Autorin Elizabeth Costello, die zu diversen Anlässen um die Welt reist, für Vorträge, Lesungen, Ehrungen und dabei in die Zwickmühlen und Abgründe des Daseins als Autor gerät.

Es geht immer wieder auch um ihren „Glauben“, den sich nicht hat. Dafür hat sie Ansichten - was sie im letzten Lehrstück, eine Art Allegorie vor einem Tor, hinter dem es „ins Licht“ geht, in Schwierigkeiten bringt, weil sie sich zu ihrem Glauben bekennen soll, vor dem Torwächter, später vor einem kafkaesken Tribunal. Aber sie ist Autorin, eine Sekretärin von Ideen, die eher durch sie, als aus ihr kommen und immer nur dem Stoff oder der Figur dienen, wie energisch sie sie auch immer vertreten mag, sagt sie.


Es gibt im Buch ein Lehrstück über die Frage der Humanwissenschaften, in dem Elizabeths Schwester, eine Nonne mit wissenschaftlichen Neigungen, eine Ehrung erhält und die Rede nutzt, um die Humanwissenschaften zu beleidigen, die ohne Gott, ohne das Nicht-Rationale, irrelevant seien. Es geht hier wie in anderen Lehrstücken um diese seltsame Familie, ihre Sohn, der sie auf Lesereisen begleitet hat, bis er eine Frau heiratete, die Elizabeth nicht mag. In einer Geschichte, nach den bekannten intellektuellen Verwicklungen vögelt der Sohn einen Hardcore Fan von Elizabeth, der sich als Journalistin rausstellt, die Frau über ihn nur an seine Mutter ran will - was er wusste, aber den Ruhm seiner Mutter auch mal für sich nutzen wollte.


Dann die Geschichte über ein Lesereise auf einem Luxusliner, wo Elizabeth zusammen mit einem anderen Autor die Rolle der intellektuellen Kapelle an Bord spielt. Auch mit ihm taucht Elizabeth wieder in die Fragen nach dem Sinn der Literatur, der eigenen Ansichten, des eigenen Stils ein. Gibt es afrikanische Literatur überhaupt oder ist der Kollege nur ein Vertreter einer Projektion für reiche Weiße auf einem Luxusschiff?

Eine einsame Frau ist diese Elizabeth. Sie mag das oder kann nicht anders. Das Kammersyndrom eines jeden Autors, diesen asoziale Teilautismus kann sie in der wirklichen Welt nicht ablegen, ja offenbar nichtmal nach ihrem Tod. So muss sie sich eine halbe Ewigkeit in einer Zwischenwelt aufhalten, weil sie die letzten Fragen nach dem Sinn „vonns Janze“ nicht beantworten kann.


In einem der letzten Lehrstücke ringt sie mit der Frage nach dem Bösen und wie es in die Welt kommt. Dem Autor Franz West wirft sie in einem Vortrag vor, in seinem Buch über Stauffenberg und das Attentat auf Hitler, selbst zu nah an das Böse gekommen zu sein, sich möglicherweise infiziert zu haben mit diesen Gedanken und Gefühlen. Autoren dürfen, gleich einem Teufelsritual, das Böse nicht heraufbeschwören, weil es dann „wirklich“ in der Welt ist, unkontrollierbar wird. Auch hier nach dem Vortrag natürlich nur knapper Applaus, betretenes Schweigen im Auditorium, ein schweigender Franz West und eine strauchelnde alte Dame mit eigenwilligen, gut argumentierten, aber doch streitbaren Thesen zum Leben als Autor und Mensch - allein in Amsterdam.


Cotzee sagte über seine Erfindung Elizabeth Costello:


"Elizabeth Costello (...) hält nicht nur Vorträge, sie lebt sie. Und sie lebt sie zu einem besonders kritischen Augenblick ihrer Existenz, als sie den Tod nahen fühlt. Die Fiktion in meinem Roman entsteht aus dieser Erfahrung, mehr noch als aus den Ideen, die Elizabeth im Laufe ihrer Seminare entwickelt."


Seltsam und eben sehr schlau das Lehrstück über Eros, das wie ein Echo auf die Frage nach den Humanwissenschaften aus einem anderen Lehrstück klingt. Die Humanwissenschaften fußen ja zugleich in der Aufklärung und der Antikenverehrung des 19. Jahrhunderts. Elizabeth treibt die Frage um, wie Götter zu Menschen oder physischen Wesen werden (in der griechischen Mythologie), um dann Frauen zu begatten oder in seltenen Fälle andersherum (Anchises, der Aphrodite vögelt und nicht drüber reden darf, obwohl Männer wohl nichts lieber getan hätten, als über die Eroberung einer Göttin zu prahlen). Was fühlen Götter beim Sex? Liebe und Tod, die Götter, die Unsterblichen, waren die Erfinder des Todes, aber ihn fehlte mit ein, zwei Ausnahmen der Mut, DAS auch an sich auzuprobieren. Und Partnervermittlungen suchen immer nur das Machbare, nie das Göttliche, stellt Elizabeth, die einsame fest. Das Geistige und ganz nahe, menschlich Bedürftige begegnet sich in den Lehrstücken, oft in Form von Elizabeths Ansichten und den tatsächlichen Ereignissen, ihren manchmal schrecklichen Erinnerungen von Vergewaltigung und anonymen Sex, der wie ein Paralleleben dieser vergeistigten Dame wirkt. Das Leben wie es ist, und wie es sein sollte, davon lebt die Spannung. Z.B. im Sohn, der die Liebe seiner Mutter sucht, die aber lieber über die Liebe zu Tieren spricht und schräge Holocaust Vergleiche macht.


Ein forderndes Buch also, ein sehr kluges und erhellendes, ein streng und flüssig formuliertes, mitunter komisches Buch über eine Intellektuelle und unsere Welt, die Denker mag, aber nur wenn sie angenehme Allgemeinplätze verbreiten. Braucht die Welt überhaupt Bücher und Denker und Gedanken, die über das hinausgehen, was wir selbst glauben, wer wir behaupten zu sein? Allein und für uns. Da suche jeder in sich selbst.