Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte, btb 2002, 218 Seiten

Murkamis Themen klingen in eigentlich jedem seiner Romane an - gewiss eine Tatsache, warum ihn die Leser so lieben und in ihm auch etwas sehr Japanisches entdecken: die Variation des Immergleichen, das Einüben einer Form, bis sie möglicherweise der Perfektion nahe kommt.

Murakami ändert dabei wie in den im Buch eine Rolle spielenden Cocktails nur das Mischungsverhältnis ein wenig. Aber auf die Mischung und Zutaten, das weiß jeder Barmann, jeder Koch und jeder Autor, kommt es eben an.


Mal ist es ein surrealistischer Thriller, mal die straight erzählte Liebesgeschichte, mal eine Art Krimi, in dem ein Beziehungsdrama versteckt ist. Und sowohl die Jazzmusik, die geheimnisvollen Frauen, die maulfaulen, aber selbstsicheren Männer, sie tauchen immer wieder auf.


In diesem kurzen Roman fragt man sich auf wundersame Weise erst am Ende, ob die Triebfeder der Geschichte, jene eigenartige, wunderschöne Frau voller Geheimnisse nicht nur ein Hirngespinst des Ich-Erzählers war. Ob also ein psychologischer Fluchtversuch, nämlich sich voll und ganz auf das Leben einzulassen wie es ist, mit seiner Familie, den Kindern, dem Alltag und seiner Arbeit, ihn zwang eine Alternative zu erfinden. Gewissermaßen als große Versuchung, das Erreichte nochmals in Schutt und Asche zu legen und alles, auch sich selbst, neu zu erfinden.


Hajime ist in jenem gefährlichen Alter, das unabhängig von kulturellem Hintergrund, vielen Männern zu Schaffen macht: die Enddreißiger. Und genau da begegnet ihm in einer Mischung aus Traum und Zufall und Erfüllung seine Jugendliebe Shimamoto wieder. Sie scheint einer anderen Welt, nicht nur der Vergangenheit entsprungen. Sagt das Richtige, handelt so geheimnisvoll, dass er (und wir Leser) unbedingt mehr erfahren wollen, muss so fein und schön und sexy sein, dass man neben ihr nur zittert als Mann. Die regnerischen Abende, an denen sie im Club auftaucht und auch wieder verschwindet und ihre eigene tragische Geschichte (ein verstorbenes Kind), das sie gemeinsam beerdigen wie eine Liebesgeschichte, die die beiden nie hatten - alles Zutaten, die zunächst plausibel, am Ende immer unwirklicher erscheinen.

Bis zu dem Punkt, dass man nicht mehr glaubt, was Hajime erzählt von dieser Frau. Und von sich. Sie ist zu einer Vision geworden, zur fleischgewordenen Möglichkeit eines anderen, natürlich viel glücklicheren Lebens.

Das Potential zu so einer Frau zu werden, weil der sich Verliebende eigentlich den Ausbruch aus seinem Leben sucht und wissen will, wer er in der Mitte seines Lebens noch sein könnte, dieses Potential hat natürlich besonders die erste große Jugendliebe, in der Naivität, Unberührtheit und tiefe Seelenverwandtschaft (bei nur bis dahin knietiefen Seelen), am größten erscheint. Weil man damals von der Welt, der Liebe, den Realitäten noch nichts wusste, aber die Gefühle schon hatte, erscheinen sie so rein und wahr.


Schön zu lesen dieser Roman. Einziger Wermutstropfen wie oft bei Murakami (eigentlich sehr vielen Autoren) sind die Sexszenen, die immer etwas Klischeehaftes, manchmal Klebriges an sich haben, auch wenn Murakami nicht den großen Fehler begeht, die sexuellen Handlungen auch noch quasi-poetisch zu umschreiben und aufzuladen. Er schildert sie gerade heraus und klar. Trotzdem: sie wirken doch immer ein bisschen ungelenk und in diese schwebende Erzählung gedrängt. Wie eine unpassende Errektion. Aber das passt ja dann zur ersten großen Liebe auch wieder ganz gut.