Yoshihiro Tatsumi: Geliebter Affe und andere Offenbarungen, Carlsen 300 Seiten

Es sind düstere, alles andere als „Happy End“ Geschichten. Kurzgeschichten über all die Sorgen und Abgründe von Leuten am Rand der Gesellschaft: Huren und Säufer, alleinerziehende Mütter und ihre vernachlässigten Kinder, unglücklich Liebende, erfolglose Erotik Zeichner oder scheiternde Studenten in Paris. Geschichten dieser Art bildeten eine Manga Welle, die in den 70er Jahren sogar einen eigenen Namen bekam: „Gekiga“, was so etwas wie „dramatisches Bild“ bedeutet. Tatsumi gehörte zu ihren Erfindern und großen Zeichnern.


Dunkel und knapp gehalten sind die 13 Stories in diesem Band. Der Zusammenhang in allen: Das große, selten schöne, Scheitern. Ganz viel Wollen und fast nichts bekommen. Zerschmetterte Träume und verlorene Lieben. Wie ein Schlaglicht ermöglichen die Kurzgeschichten einen kurzen Blick in das Leben dieser Gestrauchelten und Geschundenen. Ein Schuhfetischist, der in seiner Todessehnsucht zu einem Trick greift, der misslingt, ein Mann, der sich zwischen Geliebter und seiner alten Mutter entscheiden muss, bis er merkt, dass beides aufs Gleiche hinausläuft, ein Student in Paris, der wegen seines Akzents ausgelacht wird und sich vollkommen zurückzieht, ein Paar, das von den alten Erinnerungen nicht loskommt und darüber zerbricht, ein Arbeiter, der gerade, als er die Freiheit schnuppert, einen schweren Unfall erleidet. Und so weiter und so fort.


Immer wieder diese Szenen, die wir im Westen als so „typisch“ japanisch begreifen: Übervolle U-Bahnen, Straßen, in denen Menschen auf engstem Raum sich drängen wie Vieh, das Individuum in der Masse, das im Strom von oder zur Arbeit untergeht. Die Ratte im Rennen. Es sind diese Szenen, in denen die Figuren die größte Einsamkeit verstrahlen, während die Beschreibung ihres Suffs, ihrer nachdenklichen Nächte und sinnlosen Suche schon fast wieder edel und optimistisch erscheint.


Die vereinzelten Sexszenen wirken unglamourös und echt, kippen aber das ein oder andere mal ins Widerliche, wenn der Mann seine einst geliebte im Sarg vögelt, die betrunkene Tochter, zur Soldatenhure abgestiegen, ihren eigenen Vater verführt oder der kleine Beamte seinem Schuhfetisch auf tragische Weise frönt.

In einer Story um einen erfolglosen Mangazeichner, der auf erotische Bildchen umsatteln will und dabei in einer öffentlichen Toilette beim Malen nackter Frauen erwischt wird, in ihr wird die unterdrückte Lust und der Zwang zu Konformität und gelingender Oberfläche in der japanischen Gesellschaft offensichtlich. Und so steht denn auch der Affe aus der Titelgeschichte symbolisch für den einsamen Gefangenen seiner selbst, den viele dieser Männer darstellen. Am Ende wird das, was sein Herrchen für die Freiheit des Tieres hielt, zu seinem Todesurteil.


Eine bedrückende zugleich bereichernde Lektüre, die nicht weiter von den bekannten Manga- Klischees entfernt sein könnte. Japan Dark City. Bitter, klug, lesenswert.