Maria Carmen Morese: Gebrauchsanweisung für Neapel; Piper 236 Seiten

Die Reihe der „Gebrauchsanweisungen“ sind keine Reiseführer, mehr Kulturführer mit Sightseeing-Hinweisen und witzig-ironisch (manchmal nur gemeinten) Geschichten vom Reiseort - ein wenig Historisches, ein paar Insider-Stories und Begegnungen mit Eingeborenen. Autoren sind immer Einheimische oder wie im Falle von Frau Morese Wanderer zwischen der deutschen und der Reiseführerzielkultur. Wer sich für Kultur & Essen & Geschichten & Menschen und hübsche Nebensächlichkeiten interessiert, kann mit der Reihe Freude haben. Eine schöne Idee in dem Baedeker / Marco Polo / Lonely Planet Hot Spots / Insider Tips Enerlei der Reiseführer.


Nach einem guten Start über Meer und Wohnungssuche und die Erinnerungen an die eigene Kindheit und das berühmte ragú (die Tomatensauce mit Fleisch) verliert sich die Autorin ein wenig in ermüdenden Stadttouren und Sehenswürdigkeitenabklapperei. Was einen immer wieder wachrüttelt, sind die schönen Beschreibungen der volkstümlichen, sehr besonderen, in Italien einmaligen Mischung aus Katholizismus, Aberglauben und Passione. Dazu der in Europa wohl einmalige, südamerikanische Slumflair wie den Quartieri Spagnoli, die einst sehr üblen, heute bloß ärmlichen Viertel. Oder die eigenartigen Redensarten und das Neapolitanisch selbst (gerade als Sprache geadelt, und nicht mehr bloßer Dialekt), die Mythen und religiöse Verehrung von Maradonna und La Madonna.

Weggelassen und für den Touristen wohl auch nur wichtig, sollte er Gefahrensucher sein: die Vorstädte mit üblen Hochhausbauten, vermüllten Landschaften, vergifteten Feldern, Nutten am Straßenrand auf weißen Plastikstühlen oder die Banlieues von Neapel, in denen der Mafiafilm Ghomorra gedreht wurde. Die Camorra (regionale Mafia Kampaniens) kommt erst gegen Ende des Buchs vor - eine gute Entscheidung das neben dem Müll erste Klischee (in dem leider auch Wahrheit steckt) über Neapel erst gegen Ende recht kurz und nüchtern abzuhandeln.


Ansonsten geht es viel ums gute Leben in Neapel. Die erst vor knapp 20 Jahren wiedereröffneten Palazzi und Kirchen, das Essen (Pizza!!), die Musik (dazu sehr zu empfehlen der Film PASSIONE, von John Turturro), der spezielle oft sexualisierte Humor, das Meer (Ischia, Amalfi...) & die Liebe. Ok Shopping gibt es in jeder Stadt, aber eine Straße nur mit Weihnachtskrippen und Figuren?

Moderne Kunst wird noch nicht lang öffentlich gezeigt in der Stadt, die früher sowohl vom Müll wie von undurchschaubaren Verwaltungen malträtiert wurde. Jetzt aber gibt es gleich zwei zeitgenössische Museen, eine Handvoll Galerien, die sich in der Barock und räudigen Umgebung echte Urbanität schaffen. Dazu die grandiose Certosa di San Martino mit ihrem unfassbaren Blick auf Stadt und Meer und Vesuv sowie oberhalb eines „volkstümlichen Viertels“ (=arm) den großartigen, aber kaum besuchten Palast Capodimonte. Und wer nur Essen und Caffé trinken will, Leute gucken, rumlaufen und einer Stadt beim Leben zu sehen, hat auch den richtigen Ort gewählt.


Der Erstbesucher wird neugierig der Reise und den Menschen entgegenblicken, mit ein paar schönen Geschichten im Hinterkopf. Wer schon in Neapel war, wird beim Lesen die Freude des Wiedererkennens verspüren und doch auch eine Liste von „Muss ich noch hin“ erstellen. Neapel sehen und sterben - nicht unbedingt. Aber sehen und nochmals sehen, sehr gern!


CC