Gerd Rindchen: Crashkurs Wein - Wein ganz einfach entdecken und genießen, Hallwag, 157 Seiten

In meiner Stadt hat es Wein schwerer als woanders. Nicht nur, weil man sich hier viel einbildet auf den Titel „Bierstadt“ - nach Jahrzehnten der Tradition neben Kohle und Stahl wie diese beiden leider fast vollkommen abgewirtschaftet und vergangen. Bierstadt heißt heute Einheitsbräu Pilsener Art mit verschiedenen Namen.

Wein hat es hier auch schwer, weil der Ruhrgebietler, stolz auf eine Geradeaus-Art, sich in Sachen Kunst und Essen tendenziell oft hart an der Grenze zur Borniertheit und Ignoranz bewegt. Wein ist Etepetetesaft der feinen Leuten usw., kenn ich  mich nicht aus, also lieber (Industrie)Pilsken Marke Eins-Wie-das-Andere als einen vielschichtigen, auch mal widersprüchlichen, vielleicht betörend leckeren Wein für 3 Euro mehr.


Auch der BVB trägt das Image eines Arbeitervereins im Kontrast zu den „Scheiß-Millionären“ von Bayern München vor sich her - wie das Ruhrgebiet das Image einer Malocherregion. Beides stimmt ja nur noch sehr eingeschränkt. Und entgegen dieser Imageversteiftheiten eröffneten, meist ab vom Stadtzentrum und fern von Jägerschnitzeldiktat, Pfefferpotthast und Currywurstpommes in den letzten Jahren einige erstklassige Restaurants, die vegane Welt findet in Dortmund einen Supermarkt und Sandwichläden, gerade starten sogar die ersten Streetfood Märkte, die junge Leute anziehen und es gibt regionale Weinmessen wie Vinolucion, Weine vor Glück und andere, mit einer ganz neuen Weinbotschaft. Denn man muss der Fairness halber sagen, nicht nur in Dortmund hat es Wein schwer, sondern bei vielen Menschen. Und das kommt von den unerträglichen Weinschwätzern, die sich zu lange durch unverständlichen Weinsprech vom „Pöbel“ absetzten wollten und auf Feingeist machten, wo eigentlich nur Standesdünkel und Getue war (Bilder von Typen mit Seidenhalstuch, die ihre gepuderten Nasen in übergroße Weingläser steckten oder so etwas wie dieses Bild, findet man noch immer als Werbung in vielen Zeitschriften).


Am besten lernt sich Neues ja praktisch. Und so hab ich in den vergangenen Jahren einfach viel Wein getrunken, auch wegen eines schönen Nebenjobs als Restaurantester, und mir so ohne Vorwissen, das über Weiß/Rot/Rosé, Trocken und Lieblich hinausging, einige Weine und Regionen - ganz ansatzweise - erschlossen. Letztes Jahr, genervt von der Begrenztheit meiner Worte, Wein zu beschreiben und dem doch hilfreichen Hintergrund, um auf Weinkarten den passenden zu wählen, suchte ich Kontext und Erklärungen.

Dieses tolle und schöne und fern von jedem Getue gemachte Buch war in der Palette vorhandener Büchern zum Thema dabei nicht nur Hilfe, sondern geradezu Korkenzieher, um an Wein in seiner begeisternden Vielfalt richtig ranzukommen. Und es passt in Stil und Machart zu dem Geist der weiter oben erwähnten Weinmessen im „new style!. Gerd Rindchen, seines Zeichens Weinhändler, erläutert knapp, präzise, humorvoll und so umfassend wie gelassen die viele 1000 Jahre alte Trinktradionen rund um vergorenen Traubensaft. Die unübeschaubaren Facetten und Mischungen und Verästelungen der Weinwelt oder Expertenwissen sind dabei nicht so wichtig, sondern eher der Wunsch dem wohlgesonnenen Trinker einen Zugang und einen Überblick zu verschaffen. Wein ist wie die Welt selbst. Alles kann man nicht sehen und verstehen und lernen, aber man sollte irgenwo anfangen und nicht zu Hause hocken bleiben.


Welche Winzer, welche Lagen, welche Rebsorten gibt es, wie liest man ein Etikett, welche Länder machen die tollsten Weine und warum die Österreicher und zum Beispiel nicht die Ungarn. Dazu das Drumherum (Gläser, Temperatur, Lagerung, Gäste) und am Ende, sehr gelungen, das vermeintliche Geheimnis des „Über Wein sprechen“ - wenn Augen, Nase und Gaumen etwas sagen wollen, aber es oft nicht können, weil die Worte fehlen.

In netten Bildern, auf Farbtafeln und Collagen und einem Aromenrad wird das ganze Weinsein erläutert. In der kleinen Sektionen mit dem Titel „Herschaftswissen zum Angeben“ nimmt Rindchen die oben beschriebenen Dampfplauderer aufs Korn, liefert dem Leser aber Anekdoten rund um die Weinwelt - aufschlussreich und zur eigenen Verwendung beim wissenden Trinken oder um beim Trinken anzugeben oder den Angebern selbst eine reinzuwürgen, je nach Typ eben.


Nach diesem Buch, WILL man ganz viel trinken und probieren und ich brauch den Kellner nicht mehr fragen, „Ist der Weißburgunder trocken?“. Überhaupt: die Scheu einen Kellner nach Wein zu fragen und seine Empfehlung auch einschätzen zu können, ja vielleicht festzustellen, dass man mehr über die eine oder andere Sorte weiß, als er - führt zu mehr Gelassenheit. Ein Buch zum Blättern und Nachlesen, zum Durch-die-Welt Trinken, zum Lernen, zum Erklären oder Schnauze halten und genießen.


Und nun ran an den Grünen Silvaner der pfeffert oder doch den prickeligen Riesling teutonischer Steilhanglage, der schmeckt, wie er wächst.

Christian Caravante