Alain de Botton: Glück und Architektur, 270 Seiten

Jeder interessiert sich für Architektur. Ob er es weiß und will oder auch nicht. Wir haben alle erlebt, dass man irgendwo eintritt und sich sofort entspannt oder eingeschüchtert ist oder sich ein Grauschleier auf die eigenen Gefühle legt. Selten schreibt man das dem Raum selbst zu als vielmehr den darin befindlichen Personen. Doch die Mixtur aus Licht, Raummaßen, Raumschmuck, Möbeln und Sichtachsen schlägt in jedem eine Saite an - eine erbauliche oder deprimierende. Der einzige Unterschied ist, dass manche sie hören und reagieren und andere auf eigentümliche Weise immun erscheinen gegen Hässlichkeit wie Schönheit - wie auch immer man sie definiert.


Alain de Botton ist gewiss nicht immun gegen die Eindrücke von Häusern und Räumen. Im Gegenteil sortiert er uns die Welt der Eindrücke. Seine Grundthese: Architektur kann uns zu besseren Menschen machen. Oder uns zumindest daran erinnern, was wir sein könnten, wenn wir uns anstrengen. Und leider tun das wenige. Auch Architekten und Stadtplaner nicht.

Und dann regiert das Funktionale und

Günstig bis Billige, schafft Häuser in denen Menschen geistig und emotional verarmen, die aggressiv machen oder stumpf, die antriebslos und müde machen. Hochhäuser wie die Sozialbauten in jeder größeren Stadt - allein auf Grundlage einer irregeleiteten Wohn- und Menschenideologie gebaut. Reihenhäuser, die auf zu einfache Weise das immer Gleiche betonen und in ihrer gestalterischen Beschränktheit auch den Horizont der Bewohner zu verengen scheinen.

Aber, und das ist eine wichtige Erkenntnis, Wiederholung ist in der Architektur nicht von Nachteil, sondern ihre Voraussetzung. Die allmähliche Verbesserung bekannter Formen, die ewige Variation des Immergleichen - im besten Fall schönen.

Allerdings kommt es darauf an, was wiederholt wird und wie. Beispiel sind für Botton zwei Paläste in Venedig: zum einen der Dogenpalast, der Komplexität mit Ordnung auf wunderbare Weise verbindet. Zum anderen die Procuratie Vecchie, die in ihrer Ordnung vor allem Langweile und Desinteresse spiegelt.


Doch nicht nur in den alten Meistern findet de Botton Grandezza, Schönhheit und Form. Sondern auch in Türklinken, Fensterrahmen, Balkonen, Dächern und Fassaden aus anderen Jahrhunderten. Sie alle erzählen uns über die Absichten und Vorstellungen vom Leben, das der Architekt oder Designer hatte und damit (im besten Fall) Stimmungen und Vorstellungen seiner Umwelt aufnahm. Warum aber halten wir alte Griechen-Tempel, Palladio Villen und gotische Kathedralen unabhängig von ihrem Alter und unserer kulturellen Herkunft für beeindruckend und schön? Warum hat sich der Bauhaus Bungalow oder die offene Gestaltung der Case Studie Häuser bis heute als DER Ausdruck der Moderne gehalten? Weil dort sowohl die Regeln der Baukunst wie der Wunsch dem Menschen vorzuführen, wie das Leben sein könnte, wenn es gut läuft. Wie wir sein könnten, wenn wir nach Gleichgewicht, Weitsicht, Offenheit und Schönheit streben. Diese Häuser und die Kathedralen und Paläste erinnern uns zugleich an die Größe und Komplexität der Welt und bannen sie doch an einen Ort. Das macht uns glücklich.


Dass es bei der Vorstellung von Schönheit durchaus kulturelle Unterschiede gibt, wird bei Bottons Erläuterungen zum japanischen Ideal deutlich. Dort ist zwar die Strenge und Geradliniegkeit Kern des traditionellen Bauens, aber nicht nur ist Tokio potthässlich, sind die Wohnhäuser und Straßenzüge erschütternd gesichtslos, sondern es gelten auch kleine, schrunzelige Tonschalen von Hon‘ami Koetsu als Ideal. Weil Japaner den Verfall mögen und ihn zeigen. Weil in Japan das „Wabi“ (für das es kein Wort in anderen Sprachen gibt) das Denken beim Bauen und Schaffen bestimmt: Kirschblüten, geharkter Kies, Moos, Dachziegel und unbehandeltes Holz sind Wabi. Schönheit wird mit unprätentiösen, schlichten, unfertigen und vor allem vergänglichen Dingen gleichgesetzt. Wabi ist ein Abend allein in einer Hütte und dem Regen lauschen. Wabi ist eine Mauer mit Fehlern oder ein Teeset, bei dem die Teile schlecht zusammen passen. Das alles widerspricht dem Anspruch des Westens auf eine Art übergeordnete und erforschbare Schönheit, die sich in Berechnungen und Planbarkeit ausdrückt. Der Anspruch auf Ewigkeit, der uns alles polieren und gesichtslos für vemeintlich alle Zeiten bauen lässt, steht dem Verständnis des Wabi im Weg. Der Sichtbeton des heutigen Bauens ist jedoch ein erster Hinweis, dass man es auch hier verstanden hat.


Außer der Schönheit einer verwitterten Wand, gibt es aber natürlich auch die fraglos schönen Decken und Türbeschläge in Versailles. Sie frönen einem anderen Ideal wie auch die Gebäude von Niemeyer oder Neutra. Sie sind schön ohne Wabi, rufen im Betrachter das Gefühl wach, dass er dort wohnend zum besseren Menschen werden könnte, dass er dort endlich seinen Roman schreibt oder zu malen beginnt oder auch nur ein Buch mit dem Blick über die Welt in L.A. liest..


Ein grandioses, einmaliges Buch, das über Kulturen und Kontinente hinweg zeigt, wie Leben und Wohnen funktioniert und was der Mensch auszudrücken in der Lage ist, indem er Dinge zusammefügt. Wer nicht weiß, warum er auf dem Amt in Berlin, jedes mal so deprimiert wird, sollte analysieren in welch fataler Weise Licht, Raumfarbe, Sperrholztüren mit gesichtslosen Klinken, Geruch und Deckenhöhe zusammenspielen, um den Schritt vor die Tür als Befreiung zu erleben.