Rafael Yglesias: Glückliche Ehe, Klett-Cotta 2010, 427 Seiten

Die übliche Frage bei Lesungen „Und was ist an ihrem Buch biografisch?“, erübrigt sich bei diesem offenbar höchst persönlichem, geradezu selbst-entblößendem Buch. Von Geburtsdatum, Namen der Ehefrau Margaret, den zwei Söhnen, der beruflichen Entwicklungen des Erzählers vom gefeierten Jungautor zum Drehbuchschreiber bis hin zu Krankheit und Tod seiner Frau nach fast 30 Jahren Ehe - alles ist so auch dem Autor geschehen.

Und so kann man annehmen, dass auch die Abgründe seines Charakters, die man hier im Buch kennenlernt, nah an dem wahren Geschehen gewesen sein dürften: Lügen, Streit, Ehebruch, Impotenz, Paartherapie und Rettung der Ehe, die Details zur schrecklichen Krebserkrankung seiner Frau, die Debatten über Grabstätten und Sargkleidung. Enrique brauchte eine Frau, die ihn vom pubertierenden Jungautor voller Komplexe und Ängste zum Mann machte, der (nach anfänglichen  Schwierigkeiten) auch bereit ist Verantwortung für sein Handeln und andere zu übernehmen. Er muss dafür einige Selbstbilder (der freie Künstler, der ungebundene, traurige Mann...) aufgeben, gewinnt aber ein Leben. Davon erzählt dieses Buch.


Das Buch lebt von der Montagetechnik: Szenen aus der frühen Zeit des Kennenlernens und der Verliebtheit, werden mit solchen aus der Zeit der Krisen und des Siechtums parallelgeschaltet. Die Entwicklung dieser Liebe vom Balzen über die anfängliche Leidenschaft und Unbeholfenheit über Krisen und Streits und Entfremdung der Ehepartner zu der nach 30 Jahren durch den Tod Margarets endenden Ehe. Die sexuellen Probleme angesichts der großen Zweifel und Ängste zu Beginn und die sexuellen Eskapaden in späteren Jahren, der seltene, vertraute Ehesex, die Fantasien und Selbstzweifel, auch das ist eine Aspekt dieser Reise - Sex ist überhaupt ein gewichtiges Thema in diesem Buch; etwas, das ich als sehr „amerikanisch“ empfinde, oder 70er Jahre mässig, weil es fast eine Obsession amerikanischer Künstler gibt, mit Sex (freudianisch) philosophischen Tiefen und Untiefen ihrer Figuren zu erklären.

Abgesehen von seinen „Was macht mein Schwanz“ Monologen, werden seine endlosen, manchmal lähmenden inneren Hirndialoge dokumentiert, was dieses Wort, diese Geste, dieser Blick, diese Berührung bedeuten oder nicht bedeuten könnte, diese manchmal unerträgliche Egozentrik eines unsicheren Menschen, der alles persönlich nimmt und auf sich bezieht.

Enrique hat das Gefühl, sein ganzes Leben sei zugleich festgelegt und vollkommen offen, weil er einfach nicht weiß, wer er ist, was er kann. Ein unglaublich anstrengender Typ dieser Enrique, auch weil er sich selbst immer so anstrengt locker und cool zu sein. Auch da hilft seine Frau ihm heraus. Das ein weiterer schöner Zug des Romans, weil wir im späteren Enrique auch diese Gelassenheit des Alters und eines Mannes spüren, der es zu etwas gebracht hat, der angekommen ist, der gelernt hat, dass das Leben nicht wie in Roman funktioniert. Und doch wieder zum Roman werden kann.


Jedenfalls wird aus der jugendlichen Welteroberungsfantasie, der Überheblichkeit und Arroganz nach Außen und der Zerrissenheit und den Zweifeln nach Innen irgendwann ein Leben zwischen finanziellen Sorgen und ehelichen Problemen,  mit Kindern und deren Sorgen, mit Alltag und Routinen. Das Alte, der junge Enrique und die lebhafte Margaret, ihre Liebe ist aber durch die Montagetechnik noch ganz nah, ist keine Erinnerung sondern „passiert“ gerade erst, nur dass wir eine Seite weiter 30 Jahre später am Sterbebett von Margaret stehen. Dem Buch gelingt es, Liebe und Probleme zweier Menschen, die endlosen Debatten und Monologe, die Lügen und Fehlinterpretation, all die Abwege und Findungsprozesse zu erzählen. Ein Buch also, das von nichts anderem handelt, als von dem Universum, das jede Ehe, jede Liebe ist.