Thomas Bernhard: Holzfällen - Eine Erregung, suhrkamp, 320 Seiten

320 Seiten ohne Absatz, ohne Pause in langen, gewundenen, Worte oder Satzzeile wiederholenden Sätzen. „Wohin mit dem Hass?“ singt Jochen Distelmeyer und Thomas Bernhard hat mit seinem Buch damals offenbar eine Möglichkeit gefunden. Der Dichter, der nach seinem Ableben verbot, dass seine Stücke in Wien aufgeführt werden, der einen tiefen Hass auf das österreichische (Kunst)Establishment empfand - zu dem er selbst gehörte, der hat hier alles aufgeschrieben, was er an dieser Welt der Schauspieler, Dichter und Musiker, Maler und Intellektuellen zum Kotzen fand. Und das mit Sog.


Die auf den ersten 100 Seiten in einem Sessel lebt seine Figur diesen Hasse im Vorraum einer Wohnung. Von dort beschimpft er seine Gastgeber und die anderen Gäste aus dem Kunstbetrieb. Denkend. Im Stillen. Wie er hineingezogen wurde in den 50er Jahren und dann irgendwann floh, weil das Wien und die Kunst dort in ihm Brechreiz auslöste Allmählich lernt man, wie sehr der schimpfende, keine Gnade kennende Autor selbst mit den von ihm mit Hohn und Hass überzogenen Leuten („künstlerische Leichen, Gescheiterte, voller Lächerlichkeit“) verbunden war und ist. Die Joana hat sich aufgehängt. Die ganze Kunstmafia hat sich in einem kleinen Städtchen an ihrem Grab getroffen. Und so beginnt die Rückkehr des Erzählers in den Schoß der einst Verhassten, denen er geflohen war.


Wie Bernhard die Falschheit dieser Leute, die sich in jeder ihrer Bewegungen und Worte zeigt, auflistet, ob in der Messe, wie sie reden, wie sie trinken, wie Geld sammeln für den Hinterbliebenen, wie sie Gulasch essen - da ist ein gutes Maß an Selbsthass dabei, weil - nach London geflüchtet oder auch nicht - auch der Erzähler einer dieser Wiener Gestelzten ist, die gegenüber der Natürlichkeit „der Leute“ unecht, unehrlich und falsch wirken.


Im zweiten Teil muss der Autor aufstehen und sich unter die Leute begeben, weil der Burgschauspieler endlich eingetroffen ist und das Essen beginnt. Natürlich richtet sich sein Hass dann ganz und gar auf diesen, auf sein Schauspieler-Getue und Gerde, auf das ganze österreichische Burgtheater-Gemache und die Arroganz der Etablierten. Doch der Schauspieler schafft es: Der Erzähler erkennt irgendwann mehr in ihm als einen Kunstknilch.

Klar wird, dass dieser Mann genau wie die anderen voller Widersprüche ist und man als Leser, manchmal zustimmen möchte und genau solche Wichtigtuer, Dummschwätzer und Großmäuler in der Kunst kennt, dann aber wieder all diese Menschen auch etwas Tragisches, fast Schönes haben, wie sie sich produzieren und größer machen möchten, als sie sind. Ihr Scheitern liegt in dem Wissen, dass sie gescheitert sind und dass alle das wissen, aber das Spiel noch mitspielen. Weil auch sie gescheitert sind mit ihrem Leben.


Großartig die Wendung am Ende, wenn er nach 300 Seite Hass und Wut, seine verabscheuungswürdigen Gastgeber und die mit Häme und Schande überzogenen „Kollegen“ höflich verabschiedet, Küsse verteil, es einen wundervollen Abend nennt und den Burgschauspieler nun als Philosophen, als wirklich echten Menschen begreift. Alles ist dies UND das andere. Jeder möchte etwas sein und kann das vielleicht auch, entscheidet sich anders, schafft es nicht und in dem Scheitern kann Tragik liegen, wenn man es selbst nicht erkennt. Tragik ist überall: Ob das nun ein 50 jähriger Ex-Hausbesetzer ist, der noch immer mit Lederjacke am Tresen das große Wort führt, oder der Schauspieler einer Provinzbühne, der von „seinem Hamlet“ spricht und alle berühmten Schauspielern nur mit Vornamen nennt - obwohl er die noch nie gesehen hat. Das sind Momente der Wahrheit und vor allem der Traurigkeit aus dem echten Leben. Und so schwingt unter dem Hass in diesem Buch auch Trauer mit: Über das Alter, über das Versagen, über die Verluste - vor allem den Verlust an Idealismus und Glauben an die Kunst. Und die Erkenntnis, dass man die hasst, die man mal liebte, weil man so die Chance hat, sein eigenes Versagen nicht zu erkennen.


Da ist das sich Aufhängen eine Möglichkeit der Flucht. So ein Buch zu schreiben eine weitere. Und eigentlich könnte man sofort beginnen, so ein Buch über den Berliner Kunstbetrieb zu schreiben: Von Brillenträgern und Turnschuh-Millionären.