James Sallis: What you have left, Walker & Company, 608 Seiten

“What You Have Left” fasst die drei Romane Cypress Grove, Cripple Creek und Salt River in einem Band zusammen. Der Ex-Cop Turner lebt in einer Blockhütte am See irgendwo im nichts, genauer gesagt weit außerhalb von Memphis, westlich des Mississippi River auf dem Land in Arkansas, also irgendwo im nichts. Turner will vor allem eines – seine Ruhe. Damit ist es vorbei, als Sheriff Bates mit einer Flasche Wild Turkey in der Seehütte auftaucht und um Turners Hilfe bei der Aufklärung eines Mordes bittet.

Schublade auf: Ex-Cop, Südstaaten, Sheriff, Mord – ein Südstaatenkrimi! Schublade zu.

FALSCH!

Keines der drei Bücher ist ein Krimi. Turner ist nicht nur ein Ex-Cop, er ist auch ein ehemaliger Häftling. James Sallis erzählt Geschichten, in denen Tod und der Gewalt eine Rolle spielen. Aber wichtiger als die Mörderjagd ist Turners Versuch, mit seinem Leben zurecht zu kommen. Von Turner wissen wir zunächst nicht einmal den Vornamen, aber nach und nach erfahren wir immer mehr Details aus seiner Vergangenheit.


Turner fährt im Jeep des Sheriffs mit nach Cypress Grove. 1.280 Einwohner, Jay’s Diner, eine Baptistenkirche, ein A&P-Supermarkt, ein Ein-Dollar-Ramschladen, eine Gulf-Tankstelle. Der Drugstore hat zugemacht, der Eisenwarenladen ist auch dicht. Sheriff Bates, sein Deputy Don Lee und Thelma, die Bedienung in Jay’s Diner, sowie die restlichen 1.277 Einwohner von Cypress Grove versuchen ebenfalls mit dem Leben zurecht zu kommen. Das klappt mal besser und mal schlechter. Seit der High School Quarterback und seine Freundin bei einem Petting-Ausflug eine Männerleiche mit einem Pfahl durchs Herz gefunden haben, ist das Leben unruhiger geworden.


Es geht in Cypress Grove um einen Mord und seine Aufklärung. Auch in Cripple Creek und Salt River ist dies kriminalistische Aufgabe nicht unwichtig. Das Leben an sich ist schließlich schwer und tragisch genug. Da sollten Mörder nicht frei herumlaufen James Sallis schreibt in allen drei Büchern über das Leben in Cypress Grove im Allgemeinen und das Leben von Turner im Besonderen. Er erzählt extrem ökonomisch: Buch 1 hat 250 Seiten, Buch 2 hat 190 Seiten und Buch 3 knapp 150 Seiten. James Sallis gelingt dabei etwas, das häufig in Büchern schief geht: Er baut wie selbstverständlich immer wieder Rückblenden aus Turners Leben ein – Turner als Polizist in Memphis, Turner im Knast – und die Schlüsse, die er über die Welt zieht. Diese Montagen wirken nicht gekünstelt noch sind die Grübeleien und Schlussfolgerungen über Abgründiges und Hoffnungsvolles in Turners Leben peinlich.


Das klappt, weil Sallis über einen Menschenschlag und eine Gegend schreibt, die er gut kennt. Er ist in Arkansas geboren, irgendwo da, wo die Trilogie spielt. Als Autor ist er so vielseitig, dass es etwas einschüchternd ist: Er hat fast 20 Romane geschrieben, mehrere Essay- und Kurzgeschichtensammlungen und mehrere Gedichtbände. Hinzu kommen eine Biographie über den Autor Chester Himes und als Herausgeber zwei Sammlungen über Jazz Guitar. Außerdem übersetzt Sallis Gedichte aus dem Französischen, Spanischen und Russischen und spielt Banjo und Gitarre im Bluegrass Trio „Three-Legged Dog“. Wirklich bekannt ist Sallis vor allem in Deutschland erst, seit Nicolas Winding Refn seinen Roman Drive verfilmt hat. Das ist einerseits ein großes Glück, andererseits ein bisschen schade, weil die Aufmerksamkeit sich so stark auf dieses eine Buch konzentriert.


Die Turner Trilogie ist ein Gesamtwerk. Es ist sinnlos, nur einzelne Bücher zu lesen. James Sallis macht die Lektüre als Meister der Knappheit zu einfach und erzählt trotzdem eine tiefgründige Geschichte. Nach drei Büchern wissen wir als Leser viel über Turner, über das, was ihn antreibt und das, was ihn quält. Aber dunkle Stellen bleiben. Ganz ähnlich ist es mit der Stadt Cypress Grove. Sie ist eine kleine Welt. Es geht ihr nicht gut. Aber die, die geblieben sind, sind keineswegs zurückgebliebene Hinterwäldler. Mit großer Sturheit bewahren sie eine Solidarität, ohne die gar nichts mehr funktionieren würde. Es geht um die großen Themen Leben, Tod, Gerechtigkeit und Schuld. Sallis hat drei moderne American-Gothic-Romane geschrieben: Über die Tragik der fehlbaren Menschen, das Grauen und die Geister der Vergangenheit, die sie verfolgen und das kleine bisschen Hoffnung, das bleibt.


Kurze Notiz am Ende: Das erste Buch Cypress Grove gibt es als Kindle-Edition für 0,99 Euro. Das ist schon fast pervers. Wer Interesse hat, soll doch bitte wenigstens 11 Euro für die Trilogie ausgeben oder die schönere Variante wählen und die Trilogie als gedrucktes Buch kaufen.


Steffen Wagner