Rainald Goetz: Johann Holtrop, suhrkamp, 343 Seiten

Johann Holtrop ist Anfang 40 und sehr erfolgreicher Manager eines deutschen Medienkonzerns, der Assperg AG. Johann Holtrop ist die Essenz der Selbstverachtung der Gesellschaft - so die Analyse des Autors. Holtrop ist kaputt am Anfang, ist ein Arsch und wird immer kaputter und ist am Ende nur noch ein armes und totes Arschloch. Der erste Teil umfasst wenige Tage, der zweite Teil sieben Monate und der letzte dann sogar 9 Jahre. Kein „Aufstieg und Fall“ eines Managers, sondern fortwährender Abstieg und Untergang eines Menschen - eines Kaputten, der kaputt geht. Ein schlicht grandioses, in seiner Überspitztheit, seinem Wahn, seinem Hass und seiner Flegelhaftigkeit, in seinem Witz und seiner Schärfe (Klarheit) und Schärfe (schmerzhafte Bösartigkeit) unübertroffen genaues, treffendes, tolles Buch.


Es entzieht sich banalen Schreibschulen Regeln, der Autor muss seine Figuren lieben - Goetz ist vielleicht fasziniert von diesen asozialen, herrschsüchtigen, machtgeilen, vollkommen verblödeten Soziopathen - aber mögen, gar lieben? Gewiss nicht! Er entzieht sich also auch dem Wunsch nach „Figurenentwicklung“, denn Holtrop ist und bleibt ein Arschloch, der ein paar Sachen zu einer bestimmten Zeit sehr gut kann: Menschen treiben, Menschen fertig machen und Geld verdienen: Erst für seine Firma, dann für sich. Er ist ein Kind seiner Zeit im wahrsten Sinne des Wortes. Insofern ist es auch ein Psychogramm der Nuller Jahre bis Heute ohne dass im Buch auch nur im geringsten Innensichtern der Figuren gezeigt werden oder gar „psychologisiert“  über die Gründe dieser allumfassenden Blöd- und Kaputtheit. 


Eines ist klar bei dieser Geschichte, die mich immer wieder brüllend lachen ließ: Sie ist mitten aus dem Leben gegriffen, auch wenn die allermeisten Kritiken genau dem widersprachen und nur Karikatur und schwarz eingefärbte Übertreibung, ja eine Beleidigung des „Wirtschaftsstandort Deutschland“ zu sehen glaubten.

Der manische Zeitungsleser Goetz, der in Berlin viele Jahre lang auch auf Empfänge ging und auf Pressekonferenzen und zu Einladungen, wo sich Wirtschaft und Politik begegnen, (weshalb lang gedacht wurde, er arbeite an einem „Politikroman“), er hat einen geradezu beängstigend klaren Blick auf die lächerlichen, ekelhaften und charakterdeformierenden Prozesse in und um die Macht herum. Diese Männer, die mit ihren dröhnenden Stimmen und Mundgeruch, mit Schulterklopfen und dem Messer im Ärmel die Hebel dieses Landes bewegen, deren Rituale im Umgang miteinander, aber noch schlimmer mit Untergebenen oder der namenlosen Masse an egozentrischer Verblödung, an Arroganz und schmieriger Selbstliebe und Fremdverachtung sind kaum zu übertreffen. Und kaum übertrieben.


Alles das wird entlang des Untergangs des Holtrop erzählt, immer weiter und immer weiter immer das gleiche erbärmliche Gemache und Getue in den Büros, wo frühverfettete Vorständler und deren Assistenten, wo die „Unter“ den Speichel der Chefs lecken, wo Männer in ihrem hyperaktiven Autistenmodus „tun, was getan werden muss.“

Korruption, Intrigen, Unmenschlichkeiten, Verachtung, Hass, Rache - alles fließt ein in diese 300 Seiten starke Charakterstudie, die in ihrem Ton an eine Mischung aus Thomas Bernhards Hasstiraden in „Holzfällen“ und die exakte, großartige, unterhaltsame und sehr, sehr negative Weltsicht eines Michel Houellebecq erinnert - also einfach toll ist. Das ganze Buch ist ein Aufschrei: „Seht mal her, wie Scheisse, wie verkommen, hohl und dreist diese Typen sind, die unser Land führen.“

Manchmal wirkt das Buch wie eine verbale Austreibung der eigenen Faszination von diesen Leuten. Holtrop als Phänotyp einer ganzen Klasse von faszinierenden Managern - egal in welchem Land. Als Leser von Zeitungen - auch des Wirtschaftsteils - hilft dieses Buch den in letzte Zeit etwas zu viel gebrauchten Begriff der „Empörung“ wieder zu Leben zu erwecken und sich eben zu empören, sich aufzuregen, seiner Wahrnehmung von diesen ekelhaften, selbstgerechten Arschlöchern zu vertrauen: Die sind wirklich so. Nicht das wohltemperierte Feuilleton Schreiben oder die ausgewogene Analyse von Wirtschaftsakteuren in Magazinen, sondern in diesem Roman wird die Verkommenheit eines Mannes Sinnbild für die verkommenen Werte eines Systems - das aber deshalb noch lange nicht dem Tod geweiht ist.


Das Buch mag manchmal zu kleinteilig und repetitiv sein, aber dann kommt wieder so ein Satz in den langen und klugen Wortkaskaden, der einen auflachen lässt, den man notiert, eine Charakterbeschreibung, die in einem Satz ein ganzes Leben erklärt. Es ist eine Charakterzelegung und ich kann niemanden ernst nehmen, der dieses Buch nicht ernst nimmt, nur weil ihm der Ton nicht passt, weil es zu negativ, einseitig und unrealistisch sei. Denn so jemand nimmt offenbar seine eigene Wahrnehmung dieser von Goetz beschriebenen Welt nicht ernst, hat Angst vor der Erkenntnis des Selbsthasses und der Verkommenheit, die diese Leute verstrahlen. Goetz nennt sein Schreiben einen „spekulativen Realismus“, der nicht erklärt, sondern vorführt und in aller Härte zeigt, wie er das so sieht. Und in den allermeisten Perspektiven trifft er voll.