Michel Houellebecq: Karte und Gebiet, dumont, 416 Seiten

Im Grunde sind es zwei Erzählungen, die sich gegen Ende berühren. Oder auch drei, wenn man den Epilog als eigenen, sehr autor-typischen Ausblick in unsere kranke Zukunft begreift: ein Frankreich das allein seine Kultur bewahrt, weil Chinesen und Russen das Bild von Frankreich als Touristen suchen, eine ehemals engstirnige, fremdenfeindliche Landbevölkerung, die zu bio-bewussten Unternehmern und Freizeitorganisatoren für das zahlungskräftige Publikum aus dem Ausland wurde. Von den sexuellen Fantasien des Scheiterns, den Klon-Visionen und bizarren Zukunfts- und Beziehungsentwürfen findet man in diesem Roman nichts. Auch der Zynismus und Pessimismus des Autors hat Formen angenommen, die leicht und witzig einsickern beim Lesen, aber was die Kunst, die Medien und die Gesellschaft angehen, erstaunlich akkurat erscheinen.


Der erste Teil ist eine Künstlerbiographie eines gewissen Jed Martin (trotz Namens ein Franzose), der als Fotograf beginnt, dann Maler wird und am Ende nochmals Fotograf. Da ist er aber längst sehr sehr reich geworden mit seiner Kunst, die er unter Ausschluss der Welt und fast aller sozialen Kontakte und eines normalen Lebens gefertigt hat. Später macht Jed Martin eine millionenschwere Karriere, indem er Portraits von Bill Gates, Steve Jobs oder Ferdinand Piech malt: „Männer bei der Arbeit“ heißt diese Serie. Auch seinen eigenen Vater mal er da: einen Architekten. Das Verhältnis zu ihm ist vertraut kühl, beschränkt sich auf die Weihnachtsfeier in einem Restaurant zu zweit. Sein Sterben wird aber am Ende des Romans noch eine Rolle spielen und brachte Houellebecq eine Klage von Dignitas, einer Sterbehilfe Organisation in der Schweiz ein.


Als Jed im Roman den Autor „Houellebecq“ kennenlernt und in sein verwahrlostes Haus in Irland kommt, erscheint dieses (Selbst?)Portrait Jeds eigenem Leben zu ähneln: die Sozialphobie, das Manische, Selbstbezogene und bewusst Ignorante, was Weltgeschehen, Zeitungslektüre, Freundschaften, Kreise und Karriereplanung angeht. Diese Männer machen einfach, was sie machen müssen und sind ein bisschen oder auch sehr irre. Dieser Teil ist witzig, präzise und sehr „zeitgenössisch“ in der Weise wie der den Kunstmarkt, seine Mechanismen, die Ego-Entwürfe von Künstlern, ihre Selbstdarstellung und -vermarktung beschreibt.

Jed fotografiert Michelin Karten auf ganz bestimmte Weise, wird berühmt damit und auch reich, lernt seine Freundin kennen (die im Buch auch die einzige bleibt und sehr positiv rüberkommt - keine Vorwürfe der Frauenfeindlichkeit mehr möglich), wendet sich dann anderen Dingen zu. Doch die Darstellung des Abbildes ist interessanter als die Wirklichkeit - das der Titel des Romans und die Botschaft hinter der Kunst. Auch der des Autors, fragt man sich?


Die künstlerischen Projekte von Jed sind spannend und man könnte sich ohne weiteres vorstellen, dass diese Kunst am Kunstmarkt für Millionen verscherbelt und in Venedig und dem MoMa gezeigt würde. E ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, wann jemand auf die Idee kommt, Houellebecqs Ideen (also die des Autors, der das Buch geschrieben hat) nachzumachen...

Das Damien Hirst und Jeff Koons Portrait (an denen der Künstler scheitert, bevor er es zerreißt, vor Wut stolpert und draufkotzt. Herrliches Symbol, weil Jed Berufe malt, diese beiden aber offenbar keinen haben!) hätte man gern gesehen. „Damien Hirst und Jeffe Koons teilen den Kunstmarkt auf“, heißt es und ist wie auch die anderen Bilder eine grandiose Analyse des Zeitgeistes „um das Jahr 2010“, wie es im Roman heißt.


Teil 2 des Buches ist eine Art Kurzkrimi ohne Spannung, in dem der Autor Michel Houellebecq, den Jed auch gemalt hat (als allerletzten einer Serie, der Jahrzehnte des Rückzugs folgten), irgendwann 2035 ermordet und zerstückelt und seine Überreste zu einem Jackson Pollock Gemälde arrangiert werden. War man vorher in der Geschichte von Jed und seinem Aufstieg (unter Verwendung minimalster sexueller Aktivitäten - gemessen an früheren Büchern) ist man nun bei dem alternden Kommissar, der Liebe zu seinem Hund (überhaupt spielen Hunde, wie auch für H. im wirklichen Leben, eine Rolle) und seinem Gefährten, die versuchen den Fall zu lösen. Irgendwann, so ahnt man, wird der Kommissar auch Jed befragen. Das dauert dann aber einige Kapitel und er hilft den Fall zu lösen.


Das postmoderne Spielchen „Tod des Autors“ und hier ganz wörtlich ist nur eine Anspielung auf bestimmte Künstler-Debatten. Es werden aber auch ästhetische Theorien, Architektur und andere Künste (letzteres kaum für einen „Künstlerroman) diskutiert. Es wird unsere Zeit portraitiert wie die Herrscher über Wirtschaft und Kunst. Die Medien und ihre Macht, die Witzfiguren und aufgeblasenen Snobs der Kusntwelt und letztlich die ganze herrliche Sinnlosigkeit künstlerischen Tuns.

Ein humorvolles, klares, überraschendes, aber eigenartig in zwei Teile zerfallendes Buch, das in einer irrwitzigen Vision von Jeds letzten Arbeiten, seinem Sterben mündet. Eine Autobiographie according to H.