Hans Joachim Schädlich: Kokoschkins Reise, rowohlt, 189 Seiten

Schöne Haptik, schöner Einband und geradezu hymnische Zitate auf dem Buchrücken von ZEIT, FAZ, SZ, Rundschau. Möglicherweise ja, weil die Redakteure nach all dem Hegemann Trallala und Junge Wilde und Literaturinstituts Geschreibe des Jahres 2010 hier einen 75-jährigen Autor lasen, der alle Preise dieses Landes bereits erhalten hat und nichts mehr erreichen will, sondern nur noch schreiben. Das kann er auch. Nur dass es oft allzu gelehrt und altersweise daherkommt, dass die Gespräche im Buch nur deshalb Dialoge und keine Hintergrundinformationen des Autors zu Figuren des 20. Jahrhunderts sind, weil zwischendurch der „Gesprächspartner“ so etwas wie „Ja?“ oder „Sind Sie sicher?“ oder „War es nicht so, dass...?“ sagt. Da wirkt Gelehrtheit manchmal wie beim Geschichtslehrer in der Schule ein wenig ermüdend.


Bewundert wurden von den Journalisten die „Reduktion der Sprache“, die so eine „ungeheure Intensität“ erzeuge. Davon konnte ich nichts finden. Von den großen Gefühlen Trauer, Schmerz und letzte Liebe entdeckt man Spuren, aber die dermaßen zurückhaltende Hauptfigur Kokoschkin, die wie ein alter, feiner Herr in einem aus der Mode gekommenen Café´einer ehemals herrschaftlichen Stadt auftritt, erzählt davon nichts direkt, sondern in seinen Andeutungen von Verlust und Vertreibung muss der Leser erahnen, dass diese Frau, dieser Moment, dieser Abschied wohl etwas Großes in seinem bewegten Leben darstellte.


Sehr schön ist auf jeden Fall Schädlichs Technik Erinnerungen und die Handlung auf der Schiffspassage und die Reise mit einem Freund an die Orte seiner Jugend ineinanderfließen zu lassen, so dass man sie manchmal kaum trennen kann. In Rückblicken erfahren wir über diesen Kokoschkin, der als russischer Exilant in Odessa und Berlin und dann in Templin lebte, bevor er als Student Anfang der 30er Jahre auch die Nazis mitelebt, dann das Land Richtung Prag und bald darauf nach Amerika verlässt. Mit Größen der russischen Kunst war er auf Du und Du; deren Biografien und Schicksale in den Wirren von Krieg und Revolution werden gleich miterzählt.

2005 macht Kokoschkin seine vermutlich letzte Reise nach Europa mit einem Mann, den er 68 in Prag kennenlernte.


Erzählt wird das alles über 6 Reisetage auf der Queen Mary 2. Das Leben dort an Bord, eine kleine unmögliche Verliebtheit des 95 Jährigen, ein paar komische Tischgenossen und das eigenartige Leben an Bord wird detailreich geschildert und sollte vermutlich die Gegenwart mit der Vergangenheit auf der symbolischsten Art des Reisens verschränken, ermüdet aber bald, trotz fast grotesker Momente, die auf so einem Schiff erwartbar sind.


Am Ende kommt der 95 Jährig Mann in N.Y. an, seine Geschichte in Rückblicken ist zu Ende erzählt und wir haben nochmals erfahren, welch tragische Schicksale aus Krieg und Revolution und Faschismus erwuchsen. Nicht besonders anders erzählt, auch nicht sehr aufregend oder komplex, sondern als Reise durchs Leben eines Mannes, von dem man am Ende ganz viel weiß, ihn aber trotzdem nicht kennt. Was für sich genommen ein schöne Metapher für die Vergangenheit überhaupt ist.