Menke/Rebentisch (Hrsg.): Kreation und Depression - Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Kadmos, 250 Seiten

Ein Sammelband über die Frage, wie arbeiten wir heute, oder genauer: wie lässt uns der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form, besonders in den so genannten kreativen Berufen (und damit sind eigentlich selten Künstler gemeint) arbeiten. Kreativwirtschaft, oder wie es zwei Autoren nennen „la cité par project“, also die Projektritter in Wissenschaft und Kultur, die Netzwerker vor dem Herrn und Zeitverträgler dieser Welt sind die Speerspitze der idealen Bewahrer der kapitalistischen Dynamik.

Allem voran hat man (natürlich) den Franzosen Deleuze gestellt, der mit granatenhaften Sätzen auf das Kommende einstimmt. So z.B. diesen: „Man bringt uns bei, dass Unternehmen eine Seele haben – was wirklich die größte Schreckensmeldung der Welt ist.“ Sehr schön. Aber wie man dann weiter liest, ist es noch viel schlimmer!


Aktivität ist heute gleich Arbeit, die Unterscheidung von Arbeit und Nichtarbeit ist kaum möglich, wenn man in die Kreativquartiere dieser Welt blickt, wo junge, offenbar gut verdienende Menschen, viel Café Latte trinken, Markenklamotten tragen, an Laptops für über 1000 Euro tippen, was das Zeug hält oder irgendwelche Besprechungen abhalten. Das ist Aktivität, die heute die Währung des Erfolgs ist - nicht mehr unbedingt Fertigkeiten, Erfahrung und der Aufstieg in einem Unternehmen. Nein, diese Leute sind selbst ihr Unternehmen. Und das 7/24. Aktivität heißt, sich in Projekten zu integrieren oder selbst welche zu starten, es heißt in Netzwerke einzudringen und sich selbst zu einem Knotenpunkt zu machen. Es ist ein unsicherer, sehr dynamischer Arbeitsmarkt, dessen Gesetze unüberschaubar sind, was die Teilnehmer aber nicht hemmt, sondern antreibt. Bis zum Exzess, zur Depression. Die nämlich folgt, weil in diesem Kreativwirtschaftsmarkt, jeder nur sich verantwortlich sind. Jene, die antraten, um über Arbeit und das Prestige von Jobs in Medien, Film, Kultur etc. jenen Glamfaktor und zugleich die erhoffte Form von Selbstverwirklichung zu finden, die dem Diktum „Freiheit“ von Hierachien und Chefs entspricht, all jene finden sich nicht selten wieder ausgebrannt (nach jedem 6 Monatsvertrag beginnt alles von vorn), ohne Sicherheit (erst abgelehnt, dann kein Geld dafür), ohne Familie (keine Zeit) und irgendwann auch ohne den Beat und die Vibes, die es braucht, mitzumischen in Berlin und Hamburg, in Köln und New York.


Immer wieder wird auch über die Kapitalismuskritik gesprochen, die grob in zwei Bereiche eingeteilt wird. Zum einen die Sozialkritik, also: Löhne, Arbeitsrechte, Mitbestimmung, Urlaubtage etc. - also die Verhältnisse, in denen gearbeitet wird, verbessern will. Die andere - und dort wird in diesem Buch der Schwerpunkt gesetzt - ist die so genannten Künstlerkritik am Kapitalismus. Sie kritisiert die Unterdrückung, die Herrschaft des Marktes, die Uniformierung der Produkte und Transformation aller Gegenstände in Waren. Sie glaubt an das Ideal von Autonomie des Einzelnen und der Entfaltung von Authentizität. Beide Kritiken haben über die letzten 200 Jahre den Kapitalismus in seiner Form verändert, die Künstlerkritik allerdings in einer Weise, die uns heute sehr zu schaffen macht. Vielleicht, weil die erfolgreichst Stategie des Kapitalismus darin liegt, seine Kritiker zu umarmen und alle Ideen leicht verändert in sich aufzunehmen.


Mit dem Versprechen, man könne mit sich selbst als Produzent und gewissermaßen Produkt, nicht nur Geld verdienen, sondern auch glücklich werden, lockte sie all die jungen Werbemenschen, PR Agent, Medienheinis, Kreativabteilungsleiter von Versicherungen, die Film-, Fernseh- und Theaterpraktikanten an. Doch, wie René Pollesch so schön schreibt, könnten sie alle, statt immerzu zu warten, dass ihre Gelegenheit kommt, zu netzwerken, bis das iPhone glüht, möglicherweise in der guten alten Entfremdung durch Arbeit, im Restleben mehr von sich finden, als an vermeintlich hipper, heißer, sexy Stelle in der Kreativwirtschaft, wo sie sich selbst ausbeuten, um dazuzugehören. „Werde, was du bist, und du wirst sein, was wir brauchen“ formuliert es Ulrich Bröckling treffend in seinem Brainstorming über Kreativität. Er lässt den Leser auch einen Kreativitäts-Test von Niklas Luhmann durchführen, der am Ende ergibt: man ist kein kreativer Mensch, wenn man den Test machen will.


Ein ganzer Aufsatz von Alain Ehrenberg widmet sich der Depression in ihrer heutigen, durch Kapitalismus hervorgerufenen Form. Parallel zum Niedergang der „disziplinierten“ Wesen des frühen und mittleren Kapitalismus, entwickelten sich zwar freiere Marktteilnehmer, aber die Erkrankungen an der Seele, die Überforderung durch das Selbst-Wissen&Machen-Müssen nehmen zu. Aus dem Ideal der kreativen Selbstverwirklichung ist die Pflicht geworden, es zu tun. Die deprimierte Person ist dem Prozess der Selbstwerdung nicht gewachsen. Der Wert der Disziplin rangiert nun unter dem der Autonomie, der mehr Prestige, höhere Effizienz und Verwertbarkeit und für mehr Respekt steht. Eigentlich reicht schon der Titel des kurzen Satzes des Volksbühnen Dramaturgen Carl Hegemann, um den Ausweg zu weisen: „Freiheit ist, grundlos etwas zu tun.“ Und so ermutigt beendet man die Lektüre.