Michel Houllebecq: Unterwerfung; dumont, 280 Seiten

Was ist das nun für ein Buch? Gesellschaftliche Science Fiction, in der ein Kettenraucher vom Zeitgeist wie ein Scrooge durch Vergangenheit und Zukunft geführt wird, das waren alle Bücher von Houllebecq. Und auch dieses ist wieder klasse geschrieben, stellenweise witzig, klug sowieso. Wieder ist die Hauptfigur ein sexuell suchender, spirituell obdachloser Kauz ohne echte Freunde und Familie, der am Ende irgendwie die Kurve kriegt, auf irgendwie erschütternde Weise sich findet. Wie die Nerds, die in der Grundschule von allen vermöbelt werden und später als einzige das Kaff verlassen und reich werden, aber bizarre Sex- oder Gewaltfantasien leben.


Was ist diese Buch? Eine Groteske? Ein Anti-F-Buch (Anti Frankreich, Frauen, Freiheit)? Islamkritik oder Liberalenbashing? Diese Dinge kann man darin lesen, wenn man will. Nichts davon ist es allein und als Kern. Es ist ein Roman, eine Fiktion, die allerdings erstaunlich präzise geistige Strömungen, gesellschaftliche Entwicklungen und Debatten erfasst. In bester Künstlersensibilität beschreibt Houllebecq Dinge, die unter der Oberfläche schlummern oder schlummerten und denkt sie irgendwohin weiter. Als Pegida zum ersten Mal marschierte und IS köpfte und Charlie Hebdo fiel, da war dieses Buch längst geschrieben - aber das Denksystem ist schon in diesem Buch, das da aber noch nicht veröffentlicht war.


Ist das Szenario, das daraus folgt auch denkbar? Ein islamischer Präsident, der das Heilige Römische Reich wieder errichten will, nur diesmal unter der Fahne des Islam. Ein Staatssystem und eine „Elite“ und ein Establishment, das sich blitzschnell unterwirft unter die Regeln des neuen Herrn und seiner unendlich reichen Geldgeber aus Arabien. Dazu Intellektuelle, die wie es sich gehört, für Minderheiten streiten und ein Über-Verständnis für die Ablehnung, ja den Hass, auf westliche Wertekanon zeigen - und Radikale wie der Front National und die im Buch als die „Identitären“ bezeichneten, die gegen die Islamisierung kämpfen, bis die große Mehrheit nur noch Ruhe will - und islamisch wählt.

Saudi Arabien finanziert die Unis, wer Lust hat, heiratet eine 15-jährige fürs Bett und eine 40-jährige für den Haushalt, Schule ist nach der achten Klasse vorbei, dann gehen die Männer arbeiten. Wirtschaftliche Probleme und Staatsdefizit sind dank Petrogeld schnell gelöst, es werden knallharte Reformen durchgezogen, weil langatmige Diskussionen nicht mehr nötig sind. Und ganz nebenbei, als hätte es nur des berühmten einen Zutat zur Kristallisation einer Flüssigkeit bedurft, wird das spirituelle Vakuum, in das uns die Post-68er-Zeit und dann die Postmoderne entlassen hat, durch den Islam gefüllt. Allahu Akbar - so einfach ist alles. Auch weil der Katholizismus in Houllebecqs Buch nur noch als kulturelle Referenz, als abendländische Tradition, nicht mehr als Leitbild und Kraft existiert. Was wohl selbst in Frankreich auch so ist.


Ein dichtes, fluffiges Buch. Das erste Drittel aus dem Leben des verkrachten Professors großartig: Figuren und Beobachtungen zum Mitschreiben! Dann aber immer wieder didaktische Gespräche zwischen Hauptfigur Francois und einem ehemaligen Geheimdienstoffizier. Darin doziert dieser über die Hintergründe und Beweggründe und Zusammenhänge, die wir Leser verstehen sollen. Im gesamten mittleren Drittel geschieht kaum was, was ja ok wäre, wenn es nicht die ganze Zeit so leitartikelig und „Ich erklär dir mal, was hinter den Kulissen passiert“-mäßig zuginge. Dazwischen viele Referenzen und Gedanken über den hierzulande kaum bekannten katholischen Dekadenzautor Joris-Karl Huysmans (1848-1907), über den Francois forscht und dessen Leben und Denken, dem seinen ähnelt.


Dann kommt die Wahl, der kurze Bürgerkrieg, Francois flieht aufs Land, die Wende zum Islam nachdem Front National gegen Muslimische Bruderschaft zur Präsidentschaftswahl antreten, Rückkehr von Francois und Beginn der zweiten Karriere inklusive späterer Bekehrung (angedeutet). Wieder erklärt und erläutert der Autor in Dialog die gegenwärtige Situation - einmal mit dem Geheimdienstler und einmal mit dem Konvertiten und neuem  Direktor der Uni, der es unter dem islamischen Präsidenten dann wirklich zu etwas bringt - auch weil er eine Art Paul Coelho Einführung in den Islam geschrieben hat. Ah bon!


Ich hab es gern gelesen. Die Beobachtungen und Thesen zur Kunstwelt im letzten Buch und die zur sexuell-gesellschaftlichen Verwahrlosung in denen davor fand ich etwas packender und stimmiger, Figuren-getriebener und konkreter.

Komischerweise spricht kaum noch jemand von dem Buch, nun, drei Wochen nach „Je suis auch“ und der Tatsache, dass eine Dichterlesung von Houllebecq in Köln es in die tagesthemen schaffte. Wir haben eben wieder zu viel mit uns selbst zu tun. Das könnte ein Problem werden.


CC