Ernest Hemingway: Paris - ein Fest fürs Leben, rowohlt 314 Seiten

Zu Ende gelesen, kommt mir der Titel komisch vor. Auch wenn ein Enkel Hemingways versucht diesen zu erklären mit „beweglichen Feiertagen“ und allerlei schön Assoziiertem.

Hemingway selbst hatte eine Liste Titel zusammengestellt: Darunter wirklich tolle wie: To Bite on the Nail, Some People and the Places oder, der beste: How different It Was When You Were There! Letzterer klingt fast nach einer Kurzgeschichte von Raymond Carver und in jedem Fall nach dem Inhalt des Buches.


Nun ist es also auf Deutsch der gruselige Paris - Ein Fest fürs Leben. Ja es geht um Paris, es geht auch um junge Männer und ihre Begeisterung für die Kunst und Literatur und das Skifahren oder Boxen. Aber dieses zwanghaft „war toll gewesen“, das der deutsche Titel verheißt, findet seine Entsprechung eben nicht. Denn es geht um arme Künstler, um Männer mit Idealen und manchmal auch Talent, Männer die Scheitern, es geht auch um Konkurrenz, Lügen, Geld, Alkoholismus. Ein Portrait des Künstlers als junger Mann. Es ist tatsächlich die prägende Zeit Hemingways, darf man den Biografen glauben, und zugleich ist diese Autobiografie das Letzte, an dem der Autor arbeitete, bevor er sich 1961, vor allem wegen einer Schreibblockade, das Leben nahm.


Liest man im fortgeschrittenen Alter seine Jugend Aufzeichnungen, als man jung und naiv und so voller Power und Willen war, kann einen das runterziehen. Sieht man sich dann als reichen Nobelpreisträger im Schaukelstuhl in Key West, dann könnte man auch stolz auf sich sein. Hemingway ist das wohl nicht mehr gelungen. Sein Leben ist der Beweis, dass die Mischung aus Melancholie (bis zur Depression, die er wohl hatte) und Mut großartige Literatur möglich machen.


Jedenfalls ist es wohl keine Übertreibung, dieses Buch als ein Fundament für den bis heute nachschwingenden Paris-Magnetismus auf (vor allem amerikanische) Künstler zu begreifen. Die Cafés, das Bohemienleben, die Liebe, die schöne Stadt, das Essen. All das ist sicher heute noch genauso möglich, wie damals - nur dass kaum ein aufstrebender Künstler sich ein Künstlerleben in Paris noch leisten kann. Doch die Lebenslust, die Mischung aus Willen und Gelassenheit, den nur junge Menschen haben, das weht einen die ganze Zeit beim Lesen an. Ich werde Schrifsteller, ich gehe im Winter einfach ein paar Monate Skifahren, ich ziehe nach Paris! Was solls?


Tatsächlich waren die Cafés die Büros dieser Autoren, die sich beeinflusst von der Literatur des 19. Jahrhunderts am Anfang des 20. ihren Weg ins Leben und die Kunst suchten, so wie heute vielleicht junge Autoren am Anfang des 21. das in Berlin tun. Eine „Lost Generation“ waren diese Männer (denn außer Getrude Stein waren es nur Männer) aber nicht. Eher Nachfolger der Kirche der schön-scheiternden jungen Künstler. Wobei EH ja dann zu einer Art amerikanischen Staats-Autor wurde, neben Scott Fitzgerald, den erst keiner kannte und heute alle kennen - auch wenn er nur zwei gute Bücher geschrieben hat (nach Aussage des Freundes Hemingway). „A moveable Feast“ ist also ein bisschen Stadtportrait, ein bisschen Jugendstudie, ein bisschen „Wie schreibt man ein Buch“, ein bisschen Gossip (wer stinkt, wer schreibt wie, wer hat mit wem was gemacht...?), ein bisschen auch stolzer Lebensbericht und Rückblick.


Das Buch zeichnet ein (Selbst)Portrait dieses Hemingway, das die Hem-Klischee von Heute (Jäger, Macho, Hochseefischer, Stierkampf Fan, Haudegen) nur selten aufblitzen lässt, weil Hemingway mal über das Boxen schreibt, aber gar nichts über die Kriege und seine Heldentaten, weil er über Frauen durchweg positiv schreibt, weil er offenbar sogar sehr lange von Schuldgefühlen gequält wurde, weil er seine erste Frau für eine andere verließ, weil er sich sogar ums Kind „kümmerte“ (es saß brav still mit im Café während Papa schrieb), und weil der Großschriftsteller mit vier Wohnungen noch nicht existierte, der herumreisende Abenteurer aber schon.

Die Debatten in Europa um Hemingway als Kriegsverbrecher (er hat behauptet, Kriegsgefangene erschossen zu haben) wären vielleicht hinfällig gewesen, hätte die Gemeinde Schruns (wo er viel Zeit verbracht hat und die ein Denkmal errichten wollte) und die Kritiker des Hemingway Festival im Schwarzwald die Aussagen des Autors gelesen, dass all dies in einer Mischung aus Erinnerungen und Fiktion entstand - wie eigentlich jede Aussage über etwas, das sich ereignete, nur eine Geschichte ist.


Nach dieser Lektüre werde ich meinen ersten Hemingway Roman lesen. Ob seine Bücher dem eigenen Stil genügen, nämlich die Qualität eines Buches „nach dem Mann, der es schreibt, und nach der Güte des Materials, das er weglässt“ zu beurteilen, kann ich erst danach sagen. Meine Prognose: Ja.

Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, worüber er schreibt, so soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn der Schriftsteller nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht. Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, da sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.

– (E. Hemingway)