Richard Ford: Let me be Frank with you, ecco / Harper Collins, 238 Seiten

Allein die Nachricht löste Vorfreude aus: Frank Bascombe ist wieder da - diesmal ganz nah an unserer Gegenwart. Frank ist ein entfernter  Freund, vergleichbar ein wenig mit einem Charakter aus einer mehr-staffeligen Fernsehserie, die sich allein um ihn als Vertreter der weißen Mittelklasse und ganz Amerika dreht - nicht mehr, nicht weniger.

Über einige Jahrzehnte lernten wir Frank in immer dicker werdenden Büchern (Sportreporter, Independence Day, Die Lage des Landes) kennen, seine Kinder, seine Frauen, seine Freunde und seinen Wohnort, irgendwo im gesichtslosen Amerika der Meisten. Wir erfuhren viel von seinem Denken und Schauen auf das Leben, wie es ist: Träume, Liebe, Sex, Anpassungen, Kinder bekommen, Lebenskrisen, Ehescheidungen, Krankheiten, Familienzusammenkünfte, Tod und seine Wellen, Häuser kaufen, Lügen erzählen (vor allem sich selbst), Illusionen anhängen, Beschlüsse fassen (und nicht durchhalten), alte Träume begraben, neue Ideen haben (die aber nur Variationen sind, nicht wirklich Ideen), die Dinge kommen sehen und doch nicht ausweichen. Gerade macht eine Buchreihe eines Norwegers Furore (Karl Uve Knausgard: Mein Kampf (auf deutsch mit anderen Titel natürlich...), der die europäische Variante als Autobiografie geschrieben hat. Die Faszination des Gewöhnlichen.


Frank ist Mitteklasse USA, gehobene Mittelklasse und irgendwie ein Prototyp des 20. amerikanischen Jahrhunderts - nun ja, Prototyp der meist herrschenden Klasse trifft es vielleicht besser, ganz ohne marxistischen Unterton gemeint. Er ist Südstaatler, war Student im Mittleren Westen, dann Autor der Ostküste, dann Sportreporter, dann Immobilienmakler in New Jersey, der New York immer noch Gotham nennt, in diesem Buch ist der dann (schließlich?) Rentner mit zwei Ehen, zwei (mehr oder minder gelungenen) Kindern, vielen, vielen Gedanken zum Leben und den Mitmenschen und der Zeit, in der er sich gerade befindet. Wie die dicken Vorgänger ist die Handlung dieser vier Kurzgeschichten um einen Feiertag gruppiert, diesmal Weihnachten, spielt eine Weile nach dem Hurrikane Sandy, der die Küste von Jersey hart traf.


Die vier Geschichten haben zusammen Romanform, ähneln einer Fernsehserie mit großem und inneren, kleineren Spannungsbögen. Wo steht Frank heute? Wohin geht die Reise? Wer ist übrig? Findet am Ende alles zusammen? Viel wird in diesem Buch klar aus dem, was Frank (als Ich-Erzähler) nicht erwähnt oder nur knapp. Die Kinder. Die neue Frau. Pläne für die Zukunft. Er ist ganz hier und jetzt (was den Charme auch der früheren Bücher ausmachte), aber diesmal ist klar, die Zeit vor ihm ist weit kürzer, als die, die hinter ihm liegt. Das spürt er mit jeder Begegnung, die allein auf dem beruht, was einmal gewesen ist. Das alles lässt ihn aber keineswegs zurückblicken oder gar Resümee ziehen. Frank schaut voran - stoisch, ein bisschen neurotisch. Er weiß, was er braucht, macht das aber nicht immer, er weiß wie er ist, handelt aber nicht immer danach, er hat einen Blick für die Details des american life und seiner Absurditäten, Groteske und weltfremden Wohlstands (einiger), aber sieht die Welt nicht düster oder auch nur kritisch, sondern immer faktisch.


Er begegnet - der Reihe nach in den Geschichten - einem Mann, dem er sein Haus an der Küste verkaufte vor einigen Jahren, und das nun vom Sturm zerstört ist. Die Begegnung dauert nur Minuten, der Weg zu ihm, das Warten vor seinem alten Haus, ist die Geschichte. Er begegnet sich selbst und erschrickt. In der zweiten Geschichte kommt eine ältere Schwarze in sein Haus, die dort einmal lebte. Sie erzählt ihre Kindheit und von Mord und Selbstmord. Frank ist schockiert, unsicher, aber findet doch alles Great!, nur um genau sein Dauergrinsen und sein psychosomatisches Schwitzen zu bemerken.

In „The new Normal“ schließlich besucht er Anne, seine Exfrau und Protagonistin der drei Romane. Sie lebt wegen Parkinsons in einem Altensitz für die Sehr-Reichen heute. Der eigentliche Besuch dauert (wie schon in der ersten Story, „I‘m here“) nur sehr kurz, die Fahrt dorthin und Franks Erkenntnisse und Erschütterungen beim Blick auf sein und ihr Leben sind das Eigentliche. Und schließlich, nach so viel Reise in die Vergangenheit durch Begegnungen in der Gegenwart, zwingt er sich einen sehr alten Bekannten zu besuchen, der übers Radio (!) sein baldiges Ableben verkündete und Frank ganz direkt um Besuch bat. Auch hier ist die Begegnung der kürzeste Teil, diesmal allerdings mit mit einer Offenbarung über Franks Vergangenheit als Höhepunkt, die alles mal Geglaubte in Frage stellt - nachdem Frank dachte, alles ein für alle mal eingeordnet zu haben.


Sprachlich ist „Let me be Frank with you“ so flüssig wie brillant, so bitter wie witzig, so klug wie verlogen, so selbstbezogen wie offenherzig  wie nur möglich. Und so sehr er behauptet, nur jetzt zu sein, ist er (wie wir alle) ein Produkt seiner Vergangenheit, die ein Produkt seines Handelns und unsteuerbarer Zufälle und Handlungen anderer ist. Er ist auch ein Produkt dieses großen Landes und seiner vielschichtigen, verwirrenden und manchmal orientierungslos erscheinenden Menschen.

Frank ist, und das ist was ich mag, ein Mann, den man gern zum Ab-und-An Freund hätte, aber keinesfalls zum Vater, ein Mann, dessen Rat man schätzt, um dann doch vermutlich etwas anders zu tun, weil bei ihm der Hang zur ganz subjektiven Sicht auf die Dinge (die wir alle nur zur Verfügung haben) so offen zu Tage liegt. Er ist ein paradoxer Misch aus weltoffen und provinziell aus neugierig und borniert, aus hellsichtig und sich selbst im Weg. Frank ist herzlich und offen und nett, man kommt ihm aber nicht nahe (auch nicht übrigens, wenn nach vielen 1000 Seiten Roman) - was ihn wieder interessant macht. Er ist ein erfolgreicher, wohlhabender weißer Mann mit liberalen Ansichten und einem sehr simplen Verständnis von Politik. Er sagt, er hat alles, braucht nichts, ist glücklich, aber doch scheint ihm immer etwas zu fehlen - all die Jahrzehnte. Frank ist kein Gescheiterter - überhaupt nicht - sondern ein durchschnittlich gelungener Mensch in einer Welt, die sich allerdings vor allem gern von Glanz und Gloria erzählt, die das Exzeptionelle gern zur Norm erhebt und in ihrer verwirrenden Vielfalt den inneren und äußeren Rückzug auslöst, den Frank nun sein Leben nennt.


Let me be Frank with you führt mich direkt zur Lektüre von Unabhängigkeitstag, dem mit dem Publitzer ausgezeichneten mittleren Teil der Trilogie (die jetzt ein Quartett ist). Ich will wissen, ob man dort schon etwas ahnt, von dem Frank von heute. Weil eben alles mit allem zusammenhängt. Bis es endet.