Jörg Fauser: Rohstoff Diogenes Werkausgabe Bd. 2, 2004, 326 Seiten

Wo war ich, dass ich dieses Buch so lang verpasst habe? Bei Freunden lag es - schwarzer Einband, rote Schrift -, wurde beworben mit: „Der Typ, der auch Reportagen gemacht hat und an der Autobahn überfahren wurde.“ Abschreckend dagegen die Lobeshymne von Stuckrad-Barre auf dem Einband. Für Jahre. Auch in dem Diogenes noch ein Nachwort des Ex-Popliteraten, jetzt Reporters. Aber man wird milder mit den Jahren.


Fauser fand an dieser Autobahn irgendwann in den 80ern, kurz vor dem Ende der BRD sein eigenes Ende, das irgendwie passend scheint für einen Mann, der immer unterwegs war, von den harten Drogen zu den allltäglichen wie Alkohol, von den Frauen und zu den Frauen, von der bürgerlichen Karriere zu derselben nach eigenen Maßstäben und am Rand des Betriebs hinein in den Kanon der deutschen Literatur.


Ein grandioses Buch. Und auch wenn der Aussage, dies sei das Bild der alten BRD, und davon der Teil, in dem es arm und scheiternd und erbärmlich und drogengeschwängert zugeht, dann stimmt das - und auch nicht. Denn es wabert zwar dieses Gefühl der alten BRD der 70er, wo die grauhaarigen, großbebrillten Opis noch lebten und erzählten von der Ostfront, so mancher Kegelverein ein alter Naziclub mit neuem Namen nur ohne gesellschaftsfähige Ideologie war und wo alles irgendwie nach Linoleum und verschwitzten Polyesterhemden, Zigaretten und Mettbrötchen muffte (so wie jetzt überall nach Latte Macchiato). Aber zugleich erzählt das Buch über Menschen und Kneipen und zerstäubte Karrieren, die man heute genauso findet, vielleicht noch schmerzhafter, weil die Gescheiterten nichtmal mehr in ihren Kneipen rauchen dürfen heute.


Ideologie machten in den 70ern nicht mehr die Ex-Nazi-Opis, sondern die jungen Wilden, die Weltrettungs-Spinner, die Kampflesben und italienischen Anarchisten, die ebenso deutsch und ignorant und radikal wie die Opas und Papas zuvor an ihrer neuen Gesellschaft bastelten, Unwillige auf Kurs bombten, schrieen und prügelten aber sich - das der Unterschied zu den alten Herren - irgendwann in zahllosen Unter- Splitter- und Randgruppen gegenseitig bekriegten, misstrauten und vor sich hin revolutionierten (ohne dabei jemals das Saufen und Vögeln zu vergessen) bis sie in gut bezahlten Jobs im Kulturbetrieb landeten oder mit ihren Lederjacken noch heute in Kreuzberg oder auf der Zeil am Thresen sitzen. Und manche sind Außenminister geworden.


Ich musste oft lachen, wenn Fauser in wilden Rundumschlägen die Milieus zerlegt, seien es Junge Union Kreisleiter aus dem Westerwald mit beginnendem Stiernacken, die hennaroten Frauenbewegten, die politischen Wirrköpfe aller Couleur, die Thresophie-Anhänger im allgemeinen. Die Lautsprecher und Bescheidwisser, egal ob sie eine Disco betreiben, Politik machen, einen Betrieb führen, beim ZDF arbeiten oder sonstwas „Ernsthaftes.“ Diese Typen kann Fauser mit ein paar Sätzen in ihrer Erbärmlichkeit und ängstlich bemühten Was-aus-sich-machen-Manie zeigen, genau wie die faselnden Junkies, die linksradikalen Weltkerklärer - all die engagierten Macher überhaupt.

Dachte einige Male an die Zeile von Radiohead. „Ambition makes you look pretty ugly...“.

Und so findet man sie bei Fauser, die Engagierten. Sie sind irgendwie hässlich. Die Sympathen sind die Verlier, die Randfiguren, die mit dem Leben abgeschlossen haben und nur noch saufen wollen.


Die Frankfurter Szene (oder Scene wie man damals sagte), also im Herzen des alten BRD Mileus, ist Harry Gelbs Ort und wenn man die Herren Joschka Fischer & Co heute reden hört und Fauser gelesen hat, erkennt man, dass sie sich in ihrer Art nicht geändert haben. Denn Angeber werden immer was - egal was sie vorher gesagt haben, wie oft die Seiten gewechselt, egal wie viele Frauen sie flach legten, fallen ließen und auch 30 Jahre später immer eine zum Heiraten finden und dazu einen Job als Berater oder Macher. Sie werden was und bleiben auch was: Selbstgerechte Arschlöcher. Da sind einem die echten Verlierer in ihrer ganzen Unfähigkeit und dem Pech doch lieber, weil sie trotz allem (meist) ein bisschen Würde wahren.

Keiner kommt in dem Buch gut weg, die Männer nicht, die Frauen nicht, die Drogis und die Karrieristen nicht. All die Widersprüche und Ungereimtheiten es Lebens, das Scheitern und Versuchen, das sich was zurechtlügen und noch den letzten Mist irgendwem rational erklären zu können, am Tresen oder im Büro - das ist großartig. Kaleidoskope der Kaputten und Strauchelnden, derer, die es nicht hinbekommen, wegen Alk und Drogen. Oder weil das Leben eben kacke ist und Alk und Drogen kamen erst danach - das weiß man nicht.


Es ist ein klarer, nicht zynischer Blick auf die Gleichförmigkeit sowohl des Scheiterns wie des Gelingens von Leben. Es menschelt in allen Figuren - mal zu ihrem Besten, doch meist zu ihrem Nachteil. Und wer viel fühlt und viel will, bekommt‘s am härtesten ab. Wer viel fühlt, wenig will, hat auch ein Problem, meist eins mit Drogen. Drum fühlen die meisten ein bisschen und wollen nur ein bisschen und nehmen halt, was ihnen gegeben wird. Und wenn das dem widersprechen sollte, was sie mal als Lebensziel, als den großen Plan verkündet haben, verkünden sie eben einen anderen, neuen. Das Ganze aneinandergehängt ist ein Leben. Wie bei uns allen.


Rohstoff ist ein Roman, den ich viel zu lange verpasst hab, weil mich die Deutsche Literatur viel zu lang gelangweilt hat - womit ich übrigens mit Fauser etwas gemeinsam habe, der sich immer an den Amerikanern orientierte und für Böll bis Grass nur Gähnen übrig hatte.