William Boyd: Ruhelos, Berlin Verlag, 368 Seiten

Mein Vater hat früher IMMER John Le Carré, Robert Ludlum und diese Dinger gelesen. Agententhriller, die in den Zeiten des Kalten Kriegs einfach perfekt funktionierten - Mord und Intrige, Männer die tun, was sie tun müssen, Seilschaften von KGB und CIA und Mossad und BND und MI6. Abkürzungen, die wohl vor allem deshalb jeder kennt, weil so viele Filme und Bücher mit dem Geheimnis hinter den Geheimdiensten Spannung schaffen. Hat mich nie interessiert. Hätte ich gewusst, dass RUHELOS ein Agententhriller ist, wäre er liegen geblieben. So aber fing ich an, wusste von nichts und war einfach irgendwann drin. In der Geschichte der Eva Delektorskaja und ihren zwei Leben. Als Oma in England, deren Tochter die Geschichte als Ich-Erzählerin aus der Gegenwart der 70er Jahre schildert. Und als Agentin Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre, die für ein britisches Under-Undercover Agententeam in Belgien und USA arbeitet.


Was mich bei der Stange hielt, war die Sprache, die so gar nicht den oft komplexen, aber irgendwie zu Alles-hängt-mit allem-zusammen Verschwörungen und sprachlich dafür unterkomplexen Konstruktionen daherkommen. Hier: Eine anspruchsvolle und flüssige, glaubwürdige Geschichte, gut erzählt, psychologisch und dramaturgisch nachvollziehbar, dabei klassisch konstruiert: Die Cliffhänger am Ende jedes Kapitels wird durch die Aufteilung in Ich-Erzählerin - die das Geheimnis ihrer Mutter erfährt - und das Manuskript der Mutter, das in 3. Person über ihr Leben als Agentin erzählt und von der Tochter (und damit uns als Leser) gelesen wird.


Natürlich prallen die Zeiten am Ende des Buchs aufeinander. Der Arm der Vergangenheit reicht bis in die Gegenwart. Und für Eva wird die Zeit wohl nie enden. Das ist alles sehr unterhaltsam, spannend und glaubwürdig, als gerade mit letzterem gar nicht James Bond mässig. In dem Buch gibt es keine Superhelden, sondern Leute, die manipuliert werden - alle. Wie sagt einer der Agenten „Wir sind die Bergabeiter unter Tage, die in der Kohle wühlen, ohne dass wir wissen, was der Konzern oben eigentlich macht.“


Es gibt Strippenzieher und einen Plan, der sich erst allmählich enthüllt. Es gibt einen Mord, dann noch ein paar weitere. Es gibt verletzte Liebe und Flucht, viele Lügen und diese Mechanik der winzigen Rädchen der Agenten in der riesigen Maschine Weltgeschichte. Als nach 30 Jahren alles endet, die Verschwörung aufgedeckt wird, ist die Welt wieder in Ordnung. Als Leser glaubt man ein Eingeweihter zu sein nun, während der Rest der Welt weiter glaubt, Geheimdienste tun sehr durchschaubare, nur geheimgehaltene Dinge, um Gutes zu bewirken und Schlechtes abzuwenden oder, Agenten sind Leute mit Schlapphut und Waffe. Nein, das ist nach der Lektüre nicht mehr vorstellbar. Es sind vor allem Leute, die nie wieder in ein normales Leben finden. Wie so viele Soldaten.

Ein schönes Buch, wenn ich auch nicht gleich den nächsten Agentenroman  lesen muss nun.