Ralf Rothmann: Shakespeares Hühner, suhrkamp 221 Seiten

Immer ein echter Erzähler. In seinen Romanen im großen Bogen, stets mit starker Rolle der Orte, dem Ruhrgebiet der 60er und 70er Jahre oder Berlin, aber vor allem mit diesen Männern und Frauen, die am Leben sind.

In diesem Erzählungsband aber sind wir in Frankreich, an der Ostsee, in einer DDR Bonzensiedlung, in Japan und auch mal wieder in der Vergangenheit im Ruhrgebiet und in Paris. Ein wilder Ritt um die Welt, getragen von den stets lebendigen, starken Figuren, in denen immer ein gewisse Lebensklugheit schimmert, die darin besteht, dass sie mit allem rechnen, das Beste hoffen und in der Niederlage aufrecht stehen, ohne den Schmerz zu verstecken. Es ist auch diese Mischung, die in den Romanen so viel Freude zu lesen macht. Das sind keine Dialoge aufsagenden, nach Papier riechenden Menschen, sondern mit schlagendem Herz, Verwirrung und Entscheidung Kämpfende. Oft gibt es einen Erzähler, der ein wenig am Rand steht, der diejenigen beobachtet, die aus dem Vollen schöpfen, die mittendrin sind, die brennen oder ihrem Untergang entgegenstreben ohne es zu erkennen.


Am bewegendsten die Auftaktgeschichte von einer einsamen Frau in einem Pariser Cafe und ihrem letzten Versuch, dem langen Aufenthalt in der Stadt, eine persönliche, eine emotionale Erinnerung hinzuzufügen, eine vielleicht, die Klischeehoffnungen von „Der Stadt der Liebe“ endlich auch wahr werden lässt. Doch diese Stadt weist sie ab. Es geht aber um mehr als um ihr Scheitern am Ende: Um Verzweiflung und den enttäuschten Mut, das Alleinsein, das möglicherweise nie enden wird.


Das klingt jetzt so düster, so ist aber weder diese noch irgendeine Geschichte von Rothmann erzählt. Das IST ja gerade seine Kunst: Von normalen Menschen in einfacher Weise zu erzählen, hin und wieder ein hellsichtige Beschreibung oder ein „die Liebe“, „den Menschen“, „das Leben“ erfassenden kurzen Satz, den man sofort abschreiben will. Dabei zurückhaltend, unprätentiös immer der Geschichte und den Figuren angepasst erzählend.

Gelingt das mal  nicht, und das ist sehr selten, und er platziert einen gut erdachten, auffällig klugen Satz, lässt das einen an den dümmlichen Schreibratgebersatz denken: Kill your darlings, also der Autor solle immer seine Lieblingssätze (wegen der Gefahr der Eitelkeit, das ist MIR eingefallen) aus dem Text entfernen.


Der Parisexkurs die berührendste Erzählung für mich, die schwächste dagegen die in Japan spielende um ein Paar, das sich für zwei Nächte in ein Kloster einquartiert. Die Beziehung ist zwar irgendwie glaubwürdig, auch die Konflikte dieser Enddreißiger, die sich für ein Kind nicht entscheiden können und dabei sind, der Akademia ihr Leben zu widmen. Eigentlich kommt auch die Stimmung der Mönche, irgendwo in der Pampa von Japan recht gut rüber - trotzdem bleibt diese Story allzu konstruiert und fern. Auch aus der Spannung, Westler will auf japanische Kultur machen, die er nie verstehen wird, erwächst kein Gewinn beim Lesen - auch hier am Ende aber ein Scheitern, das die Figuren weiterbringt.


Die Story über einen Jungen im Ruhrgebiet in den 60ern ist gewohnt grob und dialogarm, Sex mit einer Toten, wie man es wohl noch nie gelesen hat und ein Vater-Sohn Verhältnis, das zugleich typisch 60er und doch anders als bei den meisten damals gewesen sein dürfte. Aber wer weiß...

Wer die Ruhr-Romane von Rothmann kennt, findet hier nichts wirklich Neues, die kleine Erzählung erscheint fast wie ein Offspring eines größeren Werks mit den altbewährten Zutaten.


Dann sind da noch die beiden Jugendlichen, die zwei Mädels abschleppen irgendwo an der Ostsee und wie Rothmann die Wünsche und Gedanken und das Gefühl der eigenen Peinlichkeit des einen Jungen und die selbstverständliche Coolheit, Männlichkeit des anderen arrangiert, fühlt man sich an viele seiner Geschichten erinnert, eben auch all die Ruhrgebietbücher, wo zwei solche Figuren zu Freunden oder zumindest Kurzzeitverbündeten werden, irgendwo zwischen Jugend und Erwachsenwerden.


Wie Rothmann über einen (natürlich gescheiterten) Ingenieur erzählt, der bei Berlin Investitionsarchitektur hochzieht, in einer ehemaligen DDR Bonzensiedlung bei seiner Tante im Garten wohnt, in der Nachbarschaft  auf einen Stasi Offizier trifft, sein eigenes Schwulsein ganz beiläufig entdeckt und wie Rothmann dabei sehr gekonnt, klug, vorurteilslos Nazigeschichte und DDR Geschichte verschränkt - das ist ein ein Pendel zwischen dem Großen der Geschichte und dem kleinen des eigenen Lebens erzählendes, dichtes und kluges, kleines Meisterwerk.


Ein Satz von Isa Schikorsky trifft den Zauber und die Kraft des Rothmann Stils genau: Seine Geschichten „...öffnen den Blick für die Menschen und Schicksale, die ganz nah bei uns sind, aber den Umweg über die Literatur benötigen, damit wir sie erkennen und verstehen können.“

Und deswegen kann man Ralf Rothmann immer und immer wieder lesen, weil dieses Wissen, dieser Blick auf die Welt geschult wird von ihm ohne dabei alles erklärt zu bekommen.