Jack Kerouac: The Subterraneans & Pic, Penguin Classics 2001, 163 Seiten

Manchmal wirkt das Buch wie ein nacherzählter Traum: viele Bilder, die sich nicht erschließen, Sprünge und Assoziationen, Worte, viele Worte, die für den Träumenden Sinn machen mögen, für den Zuhörer meist aber kein Gefühl auslösen, zu assoziativ und bloß aus dem Unterbewusstsein des Erzählenden gespeist. Doch auch poetische Momente, winzige, kristallklare Szenen oder Dialogfetzen gibt es in diesem Buch, dann wieder von proust‘scher Detailwut getriebene Beschreibungen von Orten, Bewegungen, Personen und Miniaturen, die sich verzweigen und ausufern und doch irgendwann zum Zentrum zurückfinden: zum Erzähler Leo und dem Objekt seiner Begierde Mardou.


Wie bei einem sehr sehr langen Theaterstück gleiten die Gedanken beim Lesen manchmal davon, von einem Wort hinausgeschickt oder einem Satz - dann ist man sich selbst überlassen denkt und liest weiter, kehrt irgendwann zurück zur Erzählung am Fuß der Seite oder erst auf der nächsten, ohne im eigentlichen Sinne etwas verpasst zu haben. So ist es gewollt, wir reisen durch den Kopf von Kerouac und wir reisen durch die Zeit zurück in die Momente, die er festhalten wollte, mit allen Gedanken und Gefühlen und Geschehnissen.


Jemand warf Kerouac mal vor, er schreibe vor allem viele Worte und die schnell. Bis heute hält sich auch der Mythos er habe sein Opus Magnum On the road in drei Wochen am Stück geschrieben und nie überarbeitet, was auch Kerouac selbst gern verbreitete, aber inzwischen vielfach widerlegt wurde.

The Subterraneans hat er offenbar so geschrieben, aber es ist vor 50 Jahren vor allem deshalb zerrissen worden, weil Kerouac nach seinem On the road Erfolg alle seine auf Halde liegenden Romane schnell hintereinander veröffentlichte und so nicht nur sein Image als Anti-Intellektueller Schnellschreiber noch verstärkte und nur am Rande, weil die Kritik mehrheitlich seinem Stil - dem stream of conciousness die er spontaneous prose nannte - feindlich gesinnt war. Mit den Themen seiner Bücher konnten die etablierten Herrschaften ohnehin nichts anfangen: Männer unterwegs nach...nirgendwo - Frauen, Drogen und Kunst verrührt zu einem Leben voller Kicks und Lust und ohne Plan außer keinen Plan zu haben.


Dieser kurze, ebenfalls im Stil unzensierter Subjektivität und in wenigen Tagen verfasste Roman funktioniert dennoch auf seine ganz eigene Art auch 50 Jahre später, obwohl Thema und Stil Kerouacs lange nicht mehr avantgarde sind. Und doch  funktioniert diese Geschichte auch nicht. Gleichzeitig.

Es fehlt dem Buch nämlich eine Geschichte, die mehr wäre als die kurze, recht banal scheiternde Liebe zwischen Leo und Mardou, einem Weißen und einer Schwarzen im San Francisco der 50er Jahre. Dazu Bebop, Drogen und recht explizite Sexszenen.

Der Rest sind tagebuchartige Aufzeichnungen, eine Art Gedächtnisprotokoll des Geschehens und mäandert hin und her zwischen Selbstoffenbarung und einem Sitten- und Milieuportrait, einem Bruegelschen Wimmelbild von Namen und Orten und Küssen und Gesprächen und zurück zu einer Mann-war-die-Frau-toll Berichterstattung und Beziehungsverarbeitung. Es ist zugleich Tagebuch auf Speed und melancholischer Blick eines vorausgeahnten Scheiterns. Aufgebaut sind die Abschnitte teilweise wie ein Jazz Stück, manchmal redundant und in Schleifen: Thema, Variationen, Thema - immer und immer wieder. Auch das damals neu und fremd für die Literatur.


Was Spaß macht zu Lesen, ist die Begeisterung, die aus manchen Zeilen zu spüren ist, die einen anweht aus der Vergangenheit, die 50er in New York (denn nur aus Rücksicht auf die Frau, die als Vorlage für Mardou diente, verlegte er die Handlung nach San Francisco). Aufbruch in der Kunst, der Musik, Charlie Parker spielt in irgendeinem Clubs, Künstler wohnen erstmals (und lange vor den Yuppies) in Lofts und erfinden neue Abstraktionen, New York schnell, laut, schmutzig und voller Energie und junger Leute auf der Suche, voller Freiräume und Experimente, Lust und Befreiung. Man spürt den Aufbruch in den Zeilen: Sex und Drogen und die Suche nach der großen Liebe, die Frage nach Amerikas Essenz und damit der Freiheit an sich, die Suche nach dem Kern an den dunklen, verruchten Orten, im wilden Ritt durch die Nacht. Diese Welt blitzt auf einige Male, ein nostalgischer Glanz einer untergegangen Kultur Amerikas, die heut aus Shopping Malls, Kaufhausketten, gentrifizierten Lofts und Investment-Architektur besteht.


Doch auch Kerouacs Borniertheit muss man ertragen, seine zwar libertären aber dennoch von der Zeit geprägten Blicke auf die „Negroes“, seinen „positiven Rassismus“ (so nach dem Motto, die haben den Groove), und unverhohlenen Sexismus (Er schreibt erstaunt, dass Mardou die einzige Frau gewesen sei, die Bop verstand...).

Was das Buch hat, ist Zeitgeist und Drive. Was es nicht hat, ist eine Geschichte, die bewegt. Manche Psychologisierung seiner selbst mag schön beschrieben, manch Einsicht in die menschliche Komödie und diesen Mann/Frau-Komplex treffend, Dialoge fast bühnenreif geschrieben sein - alles in allem ist aber On the road, im ähnlichem Stil verfasst, das bessere, reifere, tiefere, dichtere Buch - dazu mit Story und Linie - ohne dabei konventionell zu sein.


Als Vorstufe oder Übung zur Lektüre von Kerouacs „Free Jazz“ Werk Visions of Cody ist The Subteraneans aber in jedem Fall geeignet. Und immer noch 1000 mal authentischer und echter als die grauenhafte Verfilmung (übrigens die einzige, die je von einem Kerouac Buch gemacht wurde - was für die Literatur des Mannes spricht!).