Thomas Pletzinger: Gentleman, wir leben am Abgrund, kiwi, 363 Seiten

Auch Autoren können Sport. Erstaunlich viele waren sogar mal irgendwann nah dran an einer Profikarriere oder zumindest sehr gut. Ob Camus als Torwart oder John Irving als Ringer oder eben Thomas Pletzinger als Basketballer. Da muss irgendwas im Wettkampf (auch mit sich selbst) sein, das Künstler eben oft nicht zu den klischeebekannten Stubenhockern mit Wanst und zwei linken Ballhänden macht.


Wer Mannschaftssport gemacht hat, egal ob Volley-, Fuß- oder Basketball, der wird in diesem Buch vieles entdecken, das er an diesem Gefühl mag. Teil eines Ganzen und doch Individuum mit Stärken und Schwächen zu sein zum Beispiel. Der Zusammenhalt, das Männer-Fahrt Gefühl von gemeinsam rumhängen, Musik hören, jeder auch mal für sich, reden und albern - ohne Saufen allerdings. Diese Summe aus Menschen, die im Spiel mehr als seine einzelnen Teile werden kann. Die Euphorie des Sieges und der Schmerz der Niederlage, der das Leben intensiv macht. Intensiver als im Büro jedenfalls.

Aber wer Mannschaftsport gemacht hat und vielleicht vom Profileben träumte, wird auch erschüttert sein, wie trist, öde und von endlosen Routinen das Sportlerleben bestimmt ist, von Uhrzeiten und Disziplin zerregelt, fern jeder Spontanität und Lockerheit. Wie groß der Druck, wie flüchtig der Zusammenhalt, wie zerbrechlich die Stimmung, wie schnell man ausgewechselt, ersetzt und vergessen werden kann. Im Profibasketball nicht anders, als im Fussball, wo noch VIEL VIEL mehr Geld im Zirkus ist. Leute kommen, funken nicht, gehen wieder, Söldner mit Pendlerwohnung, ohne größeres Interesse für die Stadt oder die Menschen, weil die Chance nächstes Jahr ganz woanders zu spielen größer ist, als noch in der gleichen Mannschaft zu sein. Abgesehen vielleicht von Patrick Femerling, der in diesem Buch Alba repräsentiert auch wenn er fast gar nicht spielt (Verletzung). Dass fast alle Sportler ständig Schmerzmittel nehmen, trotzdem ständig mit Schmerzen leben, dass sich die belasteten Körper nur ins Spiel quälen und die Hälfte vor und nach dem Spiel mit Eisbeuteln auf Knien und Händen und mit Hilfe des Physios überhaupt nach dem Spiel noch in den Bus kommen, das sind Dinge, die das ganze auch ein wenig krank, auf jeden Fall sehr unromantisch erscheinen lassen.


Die vom ehemaligen im wahrsten Sinne des Wortes Möchtegern-Profi Pletzinger beschriebenen Saison ist 2011, in der Alba Berlin massive Probleme hatte und ein Auf und Ab in Europa und in der Liga erlebte. Irgendwann wechselten sie den Trainer und wurden dann fast, ganz fast, sogar Meister. Dramaturgisch wäre das natürlich das beste fürs Buch gewesen. Andererseits ist genau dieses Gefühl das wirklichere: Nämlich dass es alles ganz knapp auch ganz anders enden kann und es in der Meisterschaft keinen Vize gibt, sondern nur einen zweiten, der vergessen wird. Es sei denn es schreibt einer auf. So wie Pletzinger hier so großartig. Auch die Ahnung wird wahr, dass die Mannschaft zerfällt und Kapitän Femerling seine letzte Saison erlebt hat. Und wer sich fragt, wie ein Klinsmann ohne viel Ahnung die deutsche Fussballnationalmannschaft bis in Halbfinale gebracht hat 2006, der lernt das hier auch: Ein Trainerstab mit sehr unterschiedlichen Charakteren und Aufträgen muss 100% zusammenpassen und der Chef besticht (manchmal und für eine Weile) durch gute Kabinenansprachen und Motivation allein.


Welche bizarren Szenen in und um die Spiele, welche üblen Methoden (schmutzige Kabinen, Beschimpfungen, Psychospielchen sogar von den Zuschauern), welche Ticks der Profis, welche kleinen, witzigen, surrealen Momente Pletzinger einfängt, ist jedenfalls hoch amüsant und aufschlussreich.

Das Buch ist spannend, sprachlich glänzend erzählt und strukturiert. Sportbücher, seien wir ehrlich, sind meist für Fans geschrieben und ansonsten totlangweilig, von Büchern über Lichtgestalten wie Muhammad Ali oder Senna oder Reinhold Messner mal abgesehen. Aber weil dieses Buch etwas Tieferes, Wahreres über den Sport, vielleicht sogar über uns Menschen beim Sport, unabhängig von dieser einen Saison 2011 erzählt, deswegen ist dieses Buch so ein Volltreffer! Und natürlich weil Basketball so ein toller, schneller, aufregender, bis zur letzten Sekunde spannender Sport ist, der völlig zu Unrecht in Deutschland vor sich hinkrebst.