David Peace: Tokio im Jahre Null, Heyne, 408 Seiten

Die grandiose Red Riding Trilogie, die ich als Film zutiefst verstörend und spannend fand, eine Geschichte in England voller Korruption und Gewalt in der Polizei, über knapp 10 Jahre mit denkbar düsterem Ausgang erzählt, animierte mich dazu diesen ersten Teil der Tokio Trilogie des Autoren zu lesen. Japan Fan bin ich ja eh, also sollte das passen. Ach ja, und den deutschen Krimipreis hatte das Buch ja auch noch gewonnen.


Und dann habe ich nach 180 Seiten aufgegeben und nach hinten auf die letzten 20 geblättert - wo dann tatsächlich die Auflösung des unfassbar detaillierten, immer wieder von Satzfragmenten aus Gedanken, Erinnerungen, Wahnvorstellungen durchzogenen Romans doch recht banal daher kommt. Um das „Who dunnit“ ging es wohl nicht. Der und der war es, der und der haben nach dem Krieg neue Namen angenommen und hatten sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht und der Kommissar (ACHTUNG SPOILER!!) sich sogar seine zu Asche verbrannte Familie eingebildet - und wer weiß was nicht noch alles. Dennoch wollte Peace offenbar mehr: Ein Portrait eines zutiefst demoralisierten und schuldigen Landes anhand von Mordfällen zeigen, die über die Vergangenheit erzählen, wo die Menschen nur noch schweigen.


Was am Anfang als Tick erscheint, die in Italics gesetzten Passagen aus Gedanken und Erinnerung, die sich durch das ganze Buch ziehen, haben mich nach einer Weile irre gemacht (vielleicht ja die Absicht des Autors), so dass ich sie immer wegließ. Aber auch der Stil, kurze knappe lediglich deskriptive Hauptsätze aus 5-8 Worten, Dialoge, die zwar nicht hölzern aber seltsam charakterlos wirken und ein Figurenkabinett, das nicht in der Lage war, bei mir irgendein Gefühl der Neugier, des Mitgehens, gar Mitleidens zu erzeugen, machten das Buch nach einer Weile zu einer sehr mühsamen Lektüre (andere haben das ganz anders empfunden).


Nach 180 Seiten ist fast nichts passiert, wir wissen noch immer fast nichts über den Mörder oder den Kommissar oder Tokio - außer dass viel kaputt ist, viele Männer und Frauen verschwunden, die Polizei so tut als arbeite sie und die Yakuza (die da noch nicht so heißen) schon das richtige Geld verdienen. Beim zufälligen Blättern auf den noch folgenden 200 Seiten weiter der gleiche Stil, die Einschübe, die Dialoge, die an splittrige Bretter erinnernden Sätze. Uff.


Sicher kein 08/15 Roman, sicher ambitioniert, gut recherchiert vielleicht, ein Genrestück in Noir-Manier. Aber Peace bringt mir jedenfalls nicht nahe, wer die Leute sind, obwohl wir unentwegt in den Kopf dieses Kommissars blicken und mit jeder Leiche neue Erinnerungen wach werden.

Es mag düster gewesen sein in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Tokio, hier herrscht vollkommene Hoffnungslosigkeit und Verdrängen, die man als Vorläufer zum heutigen Reinlichkeits- und Ordnungswahn und Erfolgsfixiertheit der Japaner verstehen darf.

Mir wirkten trotzdem zu viele Szenen der japanischen Kultur angelesen oder zu bewusst erwähnt. Was alles irgendwie noch in Ordnung wäre, aber dieser Schreibstil ist nichts für mich. Vielleicht muss ich auf eine Verfilmung hoffen.