Tom Hodgkinson: Leitfaden für faule Eltern, rowohlt 309 Seiten

Faule Eltern sind eine Tautologie. Nicht weil nicht immer was zu tun wäre, wenn man Kinder hat. Klar. Irgendwer muss immer irgendwo hin oder abgeholt werden oder braucht Aufmerksamkeit in den Stunden zwischen Arbeit, Einkauf, Haushalt und Müdigkeit. Aber faule Eltern scheint es auch über das Pflichtprogramm hinaus kaum zu geben, wenn man Gespräche junger Eltern belauscht, die immer nur das Allerbeste am besten sofort und für immer für ihre Zöglinge wollen. Und dazu alle eigenen Bedürfnisse und Lüste und Genervtheiten unterdrücken.


Faule Eltern gibt es nicht auf Kitabenden, an denen all die engagierten und besorgten Eltern mit Ellbogen und endlosen Forderungen an die Erzieher für das gesellschaftliche Vorankommen ihres Kindes (nicht zwingend der Kitagruppe!) kämpfen.

Und faule Eltern sind auch sicher die nicht, von denen die Zeitungsartikel von Überforderung und Burn-Out und der nun hinreichend belegten Unvereinbarkeit von Familie und Karriere handeln, oder die irrwitzigen Kommentare unter solchen Artikeln, wo Rabenmütter & Überväter, Familien CEOs und Besserwisserinnen und Durchblicker einander in die Mangel nehmen zum Thema: Was will das Kind. Was wollt IHR denn?, möchte man rufen.


Und dann liest man dieses Buch und denkt. Scheiß drauf ! Ich bin entweder ein guter Vater oder eben nicht. Ganz sicher hängt es aber nicht davon ab, ob ich maximal viel Zeit mit den Kindern verbringe, sie behüte und wie ein Polierfisch seinen Wal begleite und als ihr bester Freund und größter Kenner und Förderer unterstütze, bis sie irgendwann Arbeit haben und es zu etwas GEEEbracht (Helge Schneider) haben.


Ich bin auch kein guter Vater, wenn ich sie mit Handytrackern bewache, aus Sorge, sie könnten mir geklaut, vergewaltigt werden oder besoffen im Graben liegen, oder ihnen nur pädagogische Lernapps auf ihren Handys erlaube und MAXIMAL eine halbe Stunde Fernsehen und Süßigkeiten nur am Nikolaustag und Freunde nur aus dem Hockeyverein und nicht von den Schlochims auf dem Bolzplatz. Und während all dieser Optimierungsbestrebungen: Endlose Beratungen über das Wohlergehen des Kindes, seine psychische Gesundheit, die Erwartungen an es in Sachen Schule, Strebsamkeit und Lernwille plus die Lektüre von Ratgebern und neuen Ratgebern und dem Studium von Schulkonzepten und Studienführern.


Der Leitsatz dieses Buches: Lasst Eure Kinder in Ruhe!

So knapp, so einfach, so wahr. Und selbst als gelingend und gut erfahren - sowohl als Kind, wie als Vater. Mann muss hier an die positiven Seiten der 70er Kindheiten erinnern, wo wir um 1 rausgingen (keine Handys, kein Netz, drei Fernsehprogramme ab 16.00 Uhr) und unsere Eltern lediglich wussten, dass wir wohl gegen 6 wieder zu Haus sind. Wo, mit wem, was wir taten? Ihnen egal, solang niemand ums Leben kam.


Es macht auch Spaß auf den eigenen Partys zu trinken, sich im Restaurant aufs Essen und Gespräch zu konzentrieren, während die Kleinen im angrenzenden Kinderraum was auch immer tun.

Es macht auch Spass auf Kindergeburtstagen zu trinken, im Urlaub nach einer Sandburg zu trinken. Oder ohne Trinken nur zugucken wie die Kinder eben sie selbst sind. Wie ja manche Eltern sogar das Trinken und Rauchen aus (falsch verstandener) Rücksicht / Verantwortung ihren Kindern gegenüber aufgeben (dabei gibt es Balkone und Gärten zum Rauchen und Bücher, bei denen man trinken MUSS!)


Mal vorausgesetzt, Eltern lieben ihre Kinder und Kinder ihre Eltern - wo ist das Problem? Wer möchte allen ernstes jede freie Minute mit dem Partner verbringen oder darüber nachdenken, was man ihm noch gutes tun könnte und wie er oder sie, sein oder ihr volles Potenzial ausschöpfen kann.

Den angestrengten Gesichtern so vieler Eltern ist zu entnehmen, dass es ihnen bei all dem (Über)Kümmern eigentlich mehr um sie selbst geht. Das Kind ist noch ein Feld der Selbstoptimierung, noch ein Performancebereich unseres alles umarmenden Kapitalismus, das Kind noch ein Statussymbol, das es erst zu erlangen und dann pflegen und zu optimieren gilt.


Zur Lektüre dieses Buches, gilt allerdings das, was für alle Ratgeber gilt: Man liest meist das Buch und die Zeitung, die einen in der ohnehin schon vorhandenen Meinung bestärkt. Neue kaum erträgliche Ideen für den Umgang mit Kindern gibt es nur für diejenigen, die zur Gattung Übereltern zählen. Das Buch ist dabei als eine Mischung aus Erfahrungsbericht, Selbstanalyse und Wunschdenken sehr unterhaltsam. Aber über den Schlüsselsatz hinaus: Lasst die Kinder in Ruhe, oder die Feststellung dass wenn mehr Kinder im Haus sind, die Eltern Sonntags ausschlafen können, weil die Kleinen gern miteinander spielen, nicht viel Überraschendes beitragen kann. Außer eben gelassen sein, weil man weiß, da draußen gibt es noch  mehr von der Art, wie man selbst - aber wir werden weniger...