Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert; Luchterhand, 313 Seiten

Wie das Leben des Autors seiner Figur Aleksandar aus Visegrad zerfällt auch der ganze Roman in zwei Teile. Der erste Teil voller bizarr wilder, witziger, grotesker, märchenhaft überschwänglicher Kindheitserinnerungen, in die sich am Ende Ereignisse einschleichen, die auf Gewalt deuten, auf die Volksgruppen, auf Vorurteile und dann - auf den aufziehenden Krieg.

Aus der Sicht des Jungen geschildert hat das Geschehen aber gar nichts Bedrohliches, sondern erscheint abenteuerlich und spannend, weil Aleksandars vertraute, geliebte Welt jeden Tag neu erscheint, weil Kinder leben, ohne das Wissen um das Ende aller Dinge und jeder Tag ALLES bringen kann. Aleksandar sammelt Erinnerungen wie andere Fußballergebnisse aus drei Ligen. Er speichert nicht nur die eigenen, sondern auch all die Familiengeschichten der Großeltern, der Nachbarn und Freunde. Seine Welt ist bunt und wiztig und voller Bewegung und Skurrilitäten und vor allem: intakt. In ihm und um ihn herum.


Eine Welt ist das, in de Tito zwar  immer wieder stirbt (als Person, als Bild in der Schule usw.), in der Basketballschiedsrichter saufen und dann mit dem Auto im Straßengraben schlafen, weil der Nebel wie Beton ist, wo auf Feiern auch mal Schüsse fallen, die Zigeuner Musik machen und immer gegessen und getanzt und geschrien wird, wo Väter C64 spielen und der Fluß wie in einer griechischen Sage allerlei Geheimnisse und Ungeheuer birgt. Und es gibt natürlich viel Liebe und Kleinstadtfeindschaften und -liebschaften und generationsübergreifende Fähig- & Unfähigkeiten.

Die Charaktere sind alles Typen, echte Originale, wie man sie eben erzählt, wenn das nicht mehr existiert, was man als seine Herkunft begreift, wenn das pralle Leben vergangen ist, wie Kindheitserinnerungen ja generell so voller Leben und Lust sind, während das Leben als Erwachsener oft grau und routiniert wird. Es kommt der Krieg 92 in die Stadt. Im Keller ist das ganze Haus versammelt, während es draußen Granaten hagelt. Leute werden gesucht und erschossen, was Aleksandar (zunächst) nur zur Kenntnis nimmt. Wie auch die sich leerende Stadt, die Flüchtlingstrecks und den Umzug nach Essen seiner dann irgendwann.


Hier beginnt der zweite Teil, der als Buch im Buch, sehr fragmentiert in einzelne Geschichten, Familienmythen und Erinnerungen das untergegangene Visegrad wieder aufzubauen versucht. Das wurde mir manchmal gar zu mühsam und unzusammenhängend und erschien ein wenig redundant im Vergleich zum pulsierenden, vor Leben strotzenden, ebenfalls nicht linearen, aber irgendwie kompakteren ersten Teil. Irgendwann reist Aleksandar dann lange nach dem Krieg zurück nach Bosnien, den Erinnerungen hinterher und vor allem auf der Suche nach Alija, einem Mädchen, das er vor Soldaten rettete (so glaubt er), danach aber nie wiedergesehen hat. In hunderten Anrufen versucht er sie zunächst von Deutschland ausfindig zu machen. So als würde ihre Existenz nicht nur die Vergangenheit, sondern auch gleich das Ende des Krieges belegen und vor allem, dass am Ende alles doch gut ausgegangen ist. Für die meisten. Auch davon wird im zweiten Teil erzählt: Von Kämpfen um Sarajevo, Fussballspiele in einer Feuerpause und Serben in den Häusern ihrer ehemaligen Nachbarn, Leichen auf den Straßen und geschändeten Frauen, verbrannten Synagogen und gefolterten Menschen. Nicht plakativ, rührselig oder klagend, sondern mit der gleichen fast kindlichen Distanziertheit und Klarheit wie im ersten Teil. Nach dem Motto: So ist das Leben eben. Beschissen grausam. Und wie das Leben einfach irgendwann endent, undramatisch und wenig narrativ, so endet der Roman, wo er begann, im Garten der Großeltern. .


Toll zu lesen auf den ersten 150 Seiten, dann schwergängiger (wobei Inhalt und Stil natürlich dabei gut zusammenpassen), am Ende nochmals Fahrt und die vielen Figuren und Fäden wieder aufnehmend.

Auf einer Lesung in Dortmund zu den Chamisso Tagen, las Stanic im Dezember aus seinem neuen Buch. Etwas thematisch ganz anderes mit dem Drive des ersten Teils dürfen wir uns offenbar freuen.