Alain de Botton: Wie man richtig an Sex denkt, Kailash 220 Seiten

Ich mochte bisher alle Bücher von Botton, ob über Statusdenken, Reisen oder das Glück der Architektur. Und das wird trotz dieses Buches so bleiben, dessen Titel nach der Lektüre eine Zumutung darstellt.

Sein sonst offener, verständlicher, aber nicht flacher Schreibstil, das Eklektische seines Denkens, die Querverbindungen von klassischer Kultur, Popkultur, Religion, Soziologie und Philosphie, die Verschränkung zunächst scheinbar unverbundener Phänomene, Ereignisse oder Gedanken hat mir immer gefallen. Er scheut nicht vor Urteilen und Meinungen, die, selbst, wenn man sie nicht teilt, zumindest smart argumentiert sind. Hier aber verrennt er sich in teils abstrusen Forderungen oder Thesen, wie die, das Zensur der Sexualität (und vor allem der Persönlichkeit) schadet,o hält Züchtigkeit nicht gerade für eine Tugend, aber für hilfreich, weil „das ständige Angebot“ - meine Worte - abstumpfe und langweilig sei. Nun singt ja auch Peter Licht in einem seiner Songs:


„Bitte nie mehr Sexualität zeigen, bitte nie mehr und nirgendwo in Zusammenhang mit euren produkten

bitte nie mehr Haut und nie mehr Po

bitte Licht ausmachen und schweigen

Bedeckte Körper sind in Ordnung / Kleidung ist in Ordnung / bedeckte Körper sind in Ordnung / Kleidung ist in Ordnung".


Klar nervt das alles, aber dass es die eigene Sexualität, gar die Gesellschaft schädige - nun ja, steile These. Dass das Verhüllen im Alltag Vorteile (außer noch mehr unterdrückte Geilheit, wie in vielen kleidungsstrengen Ländern) habe, kann vermutlich nur ein Mann oder eine Schwester Oberin schreiben, ohne Haue zu bekommen. Denn am Ende sind Miniröcke, Bikinis und Tank Tops eben auch eine Form der Selbstbestimmung. Live with it man!

Überhaupt gibt einem das Buch nie das Gefühl, dass der Autor versteht, wovon er spricht, was angesichts des Themas unmöglich ist, sich aber aufgrund der Flachheit bzw. der Banalität der Gedanken aufdrängt, die wie angelesen oder von einem zölibatären Priester erdacht klingen.


Es gibt durchaus schöne und kluge Gedanken, die aber eines gewiss nicht sind: neu. Zum Beispiel diese: Wie die Gefahr der Abnutzung und Gewöhnung in langjährigen Ehen überstehen (Überraschende Antwort von Botton: Sex zu Dritt oder neue Perspektive auf die eigene „Alte“). Von Bottons Ratschlägen leben ganze Frauenzeitschriftenabos, genau wie von der Frage: Wie gehe ich mit Zurückweisung um, wenn ich jemanden in einer Bar anmache, wie damit, dass meine Frau  immer„Migräne“ hat oder ich die Praktikantin flachlegen will?


Botton führt zunächst amüsant ans Thema heran, beschreibt (auch wenn alles schon 100mal geschrieben wurde irgendwo) warum und wie man jemanden attraktiv findet, wie man sich näher kommt, warum man küsst, sich auszieht und am Ende poppt. (Gene, Geruch, charakterliches Gegenstück, Freud). Ganz aktuell im Blick auf die gruselige „Shades of Grey“ Reihe, bearbeitet er auch um sanften SM Sex und warum der genau wie Uniformen oder bestimmte Fetische funktioniert. Nett geschrieben, aber nicht mehr als Bravo/Cosmopolitan/Ratgeber Zeug. Und man wird auch nicht das Gefühl los, dass hier einer schreibt, der sehr angestrengt locker über Sex schreiben will.


Er kommt dann bald auf die Probleme zu sprechen, wobei der meiste Raum der erwähnten Frage „Warum will sie nicht bzw. warum kann er nicht?“ gewidmet ist.

Dass Pornographie unter „Probleme der Sexualität“ auftaucht könnte man jetzt klischeehaft einer typisch britischen Verklemmtheit zuschlagen, die angesichts der Verrohung der Welt in der Internetpornowelt eine weitere Trompete des kulturellen Untergangs sieht. Das wäre einfach. Keine Frage, wenn man sich hinsetzt und mehrere Stunden Pornos sieht, wird man dulle im Kopp, aber sicher nicht erregt (oder nicht mehr), fühlt sich vermutlich auch schäbig und stellt fest: Was haben riesige Pimmel und Betontitten, was haben rote Kunstledersofas und Drei Männer-eine Frau Rammeleien mit mir zu tun? Aber was Botton nichit begreift oder glaubt: Trotzdem könnte einem am nächsten Tag, die eigene Freundin gefallen. Trotzdem könnte man viel Spass haben im Bett mit ihr oder bei einem Date oder bei einem One-night-stand - und zwar ohne die Gefahr, irgendetwas von dem Gesehenen als Maßstab für sich selbst zu begreifen oder das Gesehene gar zu re-enacten zu wollen. Geilheit macht dumm, klar, aber am Ende sind wir denkende Wesen, die sehr wohl zwischen Bildschirm (früher Zeitschrift) und der Welt trennen können.


Sein Pladoyer für eine „Andere Form der Pornographie“ ist fast ein bisschen lächerlich: „Sie würde weniger Probleme bereiten, wäre sie weniger weit entfernt davon, was einem halbwegs vernünftigen, moralischen, netten und ergeizigen Mensch neben der Sexualität sonst noch wichtig ist“. So könnte man auch gegen dumpfe Hollywoodfilme, Videospiele und sogar politisches Taktieren argumentieren: Was hat das mit unserem Leben zu tun? Nichts? Kann trotzdem Spaß machen. Weil es Fantasien sind, weil es groteske Überzeichnungen sind, die jeder „halbwegs vernünftige, nette... usw“ Mensch durchaus von seinem Leben trennen kann, weil er sie als Fiktion begreift. Amokläufe passieren nicht wegen Videospielen und Vergewaltigungen nicht wegen Pornos, Errektionsprobleme, Schüchternheit und Angst entstehen nicht durch den Vergleich Dirk Diggler und ich, sondern aus vielen, vielen, vor allem viel tiefer liegenden Dingen, die mit Sex oft gar nichts zu tun haben.  Die Selbstverachtung nach der Onanie mithilfe eines Internetpornos ist keinen Frage des Pornos, sonder der Moral unter der der Onanist aufwachsen musste. Und die Betrachtung der züchtigen, aber doch sexy Madonna von Boticelli schützt auch nicht davor, dass Sex nach 20 Jahren Ehe mal langweilig sein kann lieber Autor.


Seis drum: Das Buch ist klein, knapp und wirkt wie in 8 Wochen zusammengezimmert, weil Sex gerade Bücher sells. Selbst seine provokanten Thesen (Zensur kann gut sein, Die Frau mal von einem anderen Vögeln lassen und zuschauen hilft gegen Sexlosigkeit in der Ehe) machen das Buch nicht wie im Titel behauptet geistig anregend. Und seine Vergleiche: „Blaue Baumwollunterwäsche und Lycra Shorts“ seien „nicht minder veehrungswürdig wie die Kacheln der Alhambra oder Bachs Messe in h-Moll“ zeugen von der offensichtlichien Unfähigkeit Bottons seine Pennäler Erregungen mit hartem Sex, klassische Musik und wildes Rammeln in Einklang zu bringen - obwohl sie nicht nur in der gleichen Welt, sondern oft genug im gleichen Mann, der gleichen Frau parallel existieren. Als Wünsche oder Handlungen - wobei das gar nicht so eine Rolle spielt.


Wenn man 18 ist, mag das Buch interessante Einblicke geben (nicht gerade in die Welt des Pornos, DIE kennen die meisten da schon sehr gut) was für Probleme es neben dem „Ich trau mich nicht / Muss ich wirklich“, die dieses Alter beschäftigt, in späteren Zeiten noch geben mag. Für alle anderen, die schon länger und öfter Sex hatten kann man nur empfehlen: Lieber ein gutes Buch lesen, das nicht so Offensichtliches wieder aufwärmt - so wie man auch besser gute Pornos guckt als solche, die nur das Offensichtliche auf immer gleiche Weise wiederholen.