Nicholson Baker: Zimmertemperatur, rowoht, 159 Seiten

Wieder ein Buch über gar nichts, schrieben einige. Und das ist so richtig wie falsch, weil Baker über Gegenstände, Ausscheidungen, das Licht in einem Zimmer oder die Art wie sich in einer Babyflasche Unterdruck aufbaut, schreibt. Alltag, Nebensächliches, ohne Handlungsstrang. Nur darüber was man so sieht und was so passiert. Das aber in einer humorvollen, dann wieder detailverliebten, fließenden Sprache, die wie ein Scheinwerfer durch die Räume gleitet. Die Räume, in denen der Vater mit seiner sechsmonatigen Tochter sitzt sie beobachtet und nachdenkt. Und die Räume, die in seinem Nachdenken entstehen. Das Leben und wie es aus winzigen Details besteht, aus Momenten der Klarheit und Erinnerung.


Das kann er so gut, dass man selbst in der seitenlangen Beschreibung, wie sich das Reden übers „große Geschäft“ mit seiner Frau veränderte, wie sie humorig damit sind, wo die Grenze des Erträglichen für den Partner ist (der eine duscht, der andere kackt) und wie sich das überhaupt mit den Ausscheidungen wandelt, wenn man ein Kind bekommt. Aber es gibt auch ein ganzes Kapitel über das Komma als Satzzeichen, sein Design, seine Rolle, seine Bedeutung im Leben. Es gibt Reflexionen über den Wert von Gerüchen als Erinnerung, wie auch über die Nase des Baby oder das Popeln im Dunkeln. Es gibt seitenlange Meditationen über die Pausen zwischen den Worten und Sätzen, die er hört, wenn seine Frau in ihr Tagebuch schreibt.


All das ist auch der Versuch, die Welt wieder als ein Wunder zu begreifen, ein undurchschaubares, überkomplexes Wunder. So wie ein Kind, das nichts weiß und sich alles sucht und sortiert eben. Und so macht es das ICH in dieser Erzählung. Und er beherzigt den Rat von Godard und Lars von Trier, die zur Erzählung sagen: „Eine Geschichte braucht einen Anfang, eine Mitte und ein Ende - aber nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge“ (Godard) und „Wer will schon Handlung, die Umwege und Abschweifungen sind das Interessante“ (von Trier) - womit er sich auch auf Proust bezieht, dessen ganzes Werk eigentlich aus Abschweifung besteht. Roter Faden, simple kausale Plotketten? Warum? Das hat mit dem Leben in seiner Konvergenz und nur von uns eingebildeten Überschaubarkeit und Kontrolle nichts, aber gar nichts, zu tun. Und davon handeln die Bücher Nicholsons eigentlich: vom Leben, das DA ist, wenn man genau hinschaut. Immer, in jeder Sache, in jedem Moment, in jeder Erinnerung. Während die Sekunden weiterticken und das Leben vor unseren Augen vergeht. Tomte sang:


Schreit den Namen der Sachen, die sich um mich drehen,

Die es gilt sorgsam zu verwalten.

Einen Augenblick zu streicheln

Bevor sie gehen

Und du weißt,

Wenn sie gehen, wirst du immer weise sein,

Du wirst Dinge sehen, die du vergaßt.


Ein schönes Buch über das Leben eines anderen, das sehr viel über das Leben an sich erzählt und mahnt: Schau hin, erinnere Dich, das alles wird sich verlieren.