Rainald Goetz, klage, suhrkamp 428 Seiten

Der Lebenswandel in diesem Buch dürfte sicher für Hass und Häme in gewissen Kreisen sorgen. Was macht dieser Typ? Ausstellungen angucken, was ins Netz schreiben, Rumreisen und andere Ausstellungen gucken, Kaffee trinken, Filme, Theater, Konzerte gucken und viele weitere Eröffnungen von irgendeinem Kunstdings. Das ganze eng an den Berliner Kosmos aus Wichtigtuern und Wichtigseiern, von den sogenannten movern&shakern der hippen Hauptstadt herangeschrieben. Aber - und das vielleicht das entscheidene - ohne sich an sie heranzuwanzen. Auch wenn er all die Namen fallen lässt und die Gespräche mit Namen erwähnt, man hat nie das Gefühl, Goetz sonne sich darin, ja gefalle sich darin. Im Gegenteil: es scheint ihn oft genug anzuwidern.

Wer 2007/2008 in Berlin gelebt hat, wird vieles Vertrautes finden, Orte, Ereignisse der Kulturszene, Eröffnungen von dieser und jener Bar oder Feuilletondebatten wie das Esra Urteil gegen Maxim Biller, das in diesem Buch rauf und runter reflektiert wird. Sicher auch, weil Goetz sich selbst als Autor (auch des Buches „klage“) immer wieder gestellt haben dürfte: Wie stelle ich die Wirklichkeit dar, wenn ich sie als Fiktion erzähle und wie kann jemand aus der wirklichen Welt in dieser Fiktion eine Herabsetzung seiner Person (die ja nur eine Figur ist) sehen.


Funktioniert die Transformation des Blog Formats in die Form eines (surhkamp) Buchs? Mal ja, mal nein muss sie langweilige Antwort lauten. Das sehr tagesaktuelle und internettig dahingeschriebene funktioniert eher nicht so oft, höchstens, weil Goetz ein toller Schreiber ist öfter, als es bei anderen Blogeinträgen. Denkt man aber an Werke in Tagebuchform in ihrer Mischung aus Alltagsgeschehen, Kunstgeschehen und Selbstreflektion in mal längeren, mal kurzen Einträgen schreibend Sinn suchend, dann ist klage sicher ein gelungenes Beispiel dieser Form.


Da geht er also auf Ausstellungen und ins Kino und in Konzerte, fährt zur documenta oder berichtet, was er so denkt. Mal ist das präzise, klar und direkt, mal mehr Metabene und „Der Autor“ + „Das Schreiben“ + „Die Kunst“, mal banal wie das Leben, mal klug und scharf und urteilsfreudig, mal sehr ichbezogen, mal sehr beobachtend, mal ätzend und mal zweifelnd. Es gibt die Wiedergabe von Gesprächen, von Gesprächsfetzen, Erinnerungsprotokolle und auch wirr Fantasiertes, Traumprotokolle und Gespräche, die so hätten stattfinden können - aber haben sie? Wer weiß? Tocotronic und Lottmann tauchen immer und immer wieder auf, dann immer wieder (offenbar Teil des Vertrags mit Vanity Fair (inzwischen eingestellt), für die der Blog entstand) Ausflüge in die Politikwelt, auf bizarre Pressekonferenzen und in den Kurnaz Untersuchungsausschuss. Da ist er ganz bei sich, in dieser wirklich kunstfernen Welt: In einer Mischung aus Haltung und Verständnis und Distanz kommen einem die Rituale und das Gerede dermaßen hohl und affektiert vor, erscheinen die meisten Politiker wie eitle Fatzken oder minder kompetente Schwafler, dass man sich beginnt Sorgen zu machen. Aber so wird es wohl sein, wenn die medialen Filter, denen sich Goetz nicht verpflichtet fühlt, fallen. Angeblich schreibt er ja an einem Buch über „den Betrieb“, doch im Blog erfährt man nur von Mansukriptvernichtungen und er nörgelt an Kumpfmüller herum, dessen Roman über die Berliner Politik scheiterte.


Der typisch künstlerische Hass auf das Mittelmäßige und bloß Heißmacherische, das man in Berlin sowohl in der Kunst- wie der Politikwelt findet - er ist natürlich auch in diesem Buch. Die Mischung aus privatöffentlicher Handlung und Reisetätigkeit mit Berichten von Gesprächen und Treffen und dann wieder Analysen unter der Glocke der Kunstwelt oder Politikwelt gelingt oft genug brillant. Dann wieder blättert man über zwei, drei, vier Tage hinweg, die schon nach den ersten Zeilen allzu geschwätzig oder eben „heutig“ von damals klingen.


Lesen um zu schreiben, könnte eine Empfehlung für dieses Buch lauten. Auch wenn man viel Auge und Ohr und Können benötigt, so lässig und so prägnant zu bloggen, dass es zwischen zwei Buchdeckeln nicht wirkt, wie eine Currywurst auf Meißner mit Silberbesteck kredenzt.


Eine elaborierte Kritik zu „klage“ hier.