Don Winslow: Tage der Toten; suhrkamp, 689 Seiten

Lese kaum Krimis. Aber einen mit fast 700 Seiten hab ich noch nie gelesen. Der hier hat sich gelohnt und ist ja auch mit vielen Preisen weltweit ausgezeichnet worden, weil er rockt - sogar nicht Krimileser.

Obwohl oder weil (?) das Buch im Grunde das ur-amerikanische Erzählen und Plotten und Dialog-getriebene Handeln vorführt, das inzwischen ja auch die deutschen Krimiautoren aus Fernsehen und Ratgebern und Seminaren sich draufgeschafft haben. Aber das Original, am originalen Ort mit der originalen Sprache und Landschaft erzählt, das ist eben nochmal etwas anderes. Besser. Der Gute Art Keller, die Most-of-the-time Hauptfigur im Buch, Drogenfahnder, ist „unser Mann in Mexiko“, wo das Buch über zwei Jahrzehnte den Aufstieg der Drogenkartelle und das groteske, üble, eskalierende Abdriften in Gewalt und unfassbaren Reichtum erzählt. Das Buch ist mehr als ein Krimi: Es ist auch ein politisches Sittengemälde klassischer US amerikanischer Interessenpolitik, von Intrigen und dem Irrglauben eine Supermacht zu sein - USA!USA! Nein Freunde, ihr dürft mitspielen in der Drogenwelt, aber mehr nicht. Und natürlich haben CIA und DEA mitgemischt und wie in der Weltpolitik ein Kartell gegen das andere ausgespielt, um die eigene Macht zu stärken, eigene Interessen durchzubekommen, sie haben Waffen geliefert gegen Kommunisten und für Faschisten, haben Killerkommandos ausgebildet, machen lassen, oder selbst losgeschickt, haben mit Drogenbaronen kooperiert, wo es ums Große und Ganze ging, haben sie aber auch fallen lassen, sind korrumpiert worden, genau wie der mexikanische Staat bis in die obersten Etagen und haben den Krieg gegen die Drogen trotz alle dem längst verloren, weil sie ihn mit Entlaubung und Waffen und Razzien und Spitzeln und Gewalt gewinnen wollten. Aber Waffen, Gewalt und Geld haben die Kartelle mehr als jeder Staat in petto und willige Helfer sowieso. Und die Nachfrage versiegt NIE. Und wenn jedes Jahr in Mexiko 10.000 Menschen im Drogenkrieg sterben. Die Lieder werden aber über die Drogenbosse gedichtet und überall gesungen, Heldenlieder sind das - ein Film auf der Berlinale zeigte dieses kranke, nicht vorstellbare Paradox, dass die Bevölkerung in einem zerfallenden Staat von Gewalt umgeben lebt und doch die Männer verehrt, die das anrichten und wollen.


Und so endet der Roman in unserer nahen Vergangenheit, wo alles nur noch schlimmer geworden ist, was schon schlimm war. Und weil es selbst für den Autor Winslow, der in diesem Roman übelstes Zeug schildert und damit auch die Furcht der Menschen und Kraft der Kartelle erklärt, in den vergangen Jahren erschüttert wurde von Massenmorden, mittelaterlichen Methoden, Leichen an Brücken zu hängen oder vor Rathäusern abzuladen oder zu hunderten geköpft irgendwo zu verscharren, deswegen schreibt er gerade nochmals zu diesem Thema. Spannend in 90% der 700 Seiten, unfassbar gut geschnitten und verschachtelt und kontrastiert. Sehr komplex und fast schon mit einer Thomas Pynchon-Zahl an Protagonisten (wobei es auch einige erwischt) ist dieses Buch. Manchmal im Stakkato erzählt, manchmal in kleine Charakterstudien und Landschaftsbildern und Momenten der Stille und Zweifel, dann wieder Action, BämmBämm und irre, nicht vorhersehbare Wendungen und tatsächlich magenwendende Gewalt.


Werde jetzt zwar kein Krimifan, aber Don Winslow Fan bin ich mit diesem und seinem ebenfalls tollen Zeit des Zorns (natürlich verfilmt) auf jeden Fall.

Christian Caravante