Christian Kracht: IMPERIUM; kiepenheuer&witsch, 242 S.

Tja was ist das für ein Buch? Ein Südseeroman, ein „Am deutschen Wesen soll die Welt Genesen“ Nostalgieroman, eine Art Schattenwurf aus der Zukunft, die für die Figuren noch kommen wird (Kriege, Nazis...), der aber schon alles in sich trägt, was die späteren Ereignisse ermöglicht? Auf jeden Fall ein Buch über den „Kokovorismus“ (die Kokosnuss als höchste Form der Ernährung + nackig in der Sonne leben) und den Kokolores, der so manchen jungen Männern im Kopp rumgeht.


Fakt ist: Christian Kracht ist viel herumgekommen in seinem Leben. Er hat ein großartiges Buch mit Reisereportagen geschrieben, wer war an den seltsamsten Orten mit den seltsamsten Leuten und hat sich nach einem nicht gut endendem Buch über Iran 1979 in diesem Roman einem Deutschen angenommen, der Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts auf einer Insel nur noch von Kokosnüssen lebte und - wie bis heute für viele Häretiker nicht unüblich - dies als die einzig wirkliche Lebensweise ansah - allerdings im Fall von August Engelhardt ohne den unangenehmen, oft zwanghaften, in Intoleranz und Gewalt ausartenden Eifer und Missionsglauben, der auch den Deutschen nicht unbekannt war.


Er ist irgendwie eine schräge Type, dieser Engelhardt, eine Type, die keinem was zuleide tut, außer sich selbst, aber auch Symbol für Aussteigerirrsinn in einer Welt, die damals alles andere als vernetzt und erreichbar und informiert war. Das heutige „So wie fast überall“ durch Kettenkaufen und Kapitalismus weltumspannende Kommunikation gab es nicht. England, Frankreich und auch Deutschland wollten die Welt beherrschen und ausbeuten, aber ließen den fernen Ländern ihren „Look“. Klassischer Imperialismus, statt Kultur&Konsumimperialismus.


Der enttäuschte Vegetarier und Nudist August Engelhardt wandert in die entfernteste Kolonie des spätkolonialen Deutschen Mini-Reichs aus - nach Deutsch-Neuguinea, um der Kokosnuss zu huldigen und seine Freiheit von der teutonischen Enge zu finden. Er erwirbt eine Insel, beginnt mit Hilfe der Bewohner eine Plantage aufzubauen und stellt jahrelang Kokosöl her, das keiner kauft. Aber weil Geld nicht so wichtig ist, stört es auch niemanden - genauso wenig wie dass er nackig lebt unter den Insulanern. Irgendwann kommen noch andere Sinnsucher, Nudisten, Vegetarier, Scharlatane und Esoteriker, die entweder gar nicht bis zur Insel gelangen oder dort ein unrühmliches Ende finden. Das geht eine ganze Weile so. Engelhardt ist am Anfang der, der die Welt ändern will. Dann ändert sich die Welt um ihn herum, nur er bekommt es nicht mit. Bis es zu spät ist.


En bisschen Chris McCandless „Into the Wild“, ein bisschen W. Somerset Maugham Tropenwahnsinn/Tropenromantik, ein bisschen weltfremde FKK-Ossis in der weiten Weltgeschichte. Gaugin, Pechstein, Robinson, Tom Hanks - reichlich Bilder der Südsee im Kopf. Kracht arbeitet mit diesen und doch ganz ohne Folklore und dümmliche Feierei der Urtümlichkeit. Engelhard wird als ein „verklemmter Gernegroß“ beschrieben - etwas das zum Deutschen Reich als ganzes gut passte. Am Ende wird aber auch der harmlose Spinner Engelhardt vom Antisemitismus, erfasst, ohne wirklichen Grund, vielleicht einfach, weil es eine esoterische Unterströmung all der damals aktuellen Spinnereien war. Aber zum Glück bleibt Engelhardt bei seinen Nüssen und richtet keinen Schaden an.


Was ist also dieser Roman? Eine vorauseilende Erklärung für das, was dann ab 1933 in Deutschland passieren wird, ein Schlagschatten noch nicht geschehener Geschichte? Kritiker warfen Kracht vor, „Türsteher für rechtes Gedankengut zu sein“. Ein lächerlicher Vorwurf, auch wenn Kracht ist in vielen seiner Bücher von der Ästhetik totalitärer Systeme fasziniert scheint.

Imperium ist ein in der ersten Hälfte amüsantes, aber irgendwann etwas ermüdendes Buch über einen bizarren Aussteiger, das in der zweiten Hälfte dem Abwärtstrudel eines sich scheinbar analog zur Zeit selbst zerstörenden Mannes folgt, der ACHTUNG SPOILER!!! am Ende doch alle überlebt. Wie der japanische Soldat, der bis 1974 noch im Krieg war, sich versteckt hielt und für den Tenno bereit war zu sterben, wird auch Engelhardt (hier verlässt der Autor den echten Engelhardt) am Ende des Zweiten Weltkrieges gefunden, als die dunkelste Zeit Deutschlands, Europas und der Welt vorbei ist. Ein Glückspilz, ein einsamer Glückspilz dieser Engelhardt, der zwar irgendwann seine Finger futterte, aber für sich einen Weg fand extrem zu sein, ohne andere dabei zu behelligen.