Kathrin Röggla: wir schlafen nicht, s. fischer 216 Seiten

Das Buch einen Roman zu nennen ist schonmal mutig. Und alles klein schreiben eher nervig. Und dann ist es wie Holtrop ein Buch über die Wirtschaft, auch die vom Beginn des neuen Jahrtausends. Hier sind es ein Unternehmensberater, ein Partner, ein IT Supporter, eine Online Journalistin, eine Praktikantin und eine „Key Account Managerin“ - was immer da ist, die so erzählen. Fragmentiert, vielstimmig und durcheinander, lose unter Kapitel sortiert und offenbar als Gespräch und dann von der Autorin aufgeschrieben, verfremdet und editiert. Noch ein Blick in den Irrsinn der Wirtschaftsparallelgesellschaft, den Hohlsprech, das Führen und Entlassen, die Analysen von Märkten und Potentialen, die Phrasen und Konjunkturen (auch Konjunkturen von Phrasen, die immer wieder auftauchen wie „Krise“ oder „Optimierung“), die irrationalen Ängste, kindischen Konflikte und den DurckDruckDruck. Und ein wenig wird einem schlecht, weil das Alles so leer scheint, so banal und doch wichtig für diese Menschen, weil ihre Logik eine von uns allen sehr gut eingeübte ist (Immer bereit sein, immer arbeiten wollen, immer performen und leisten und kreativ sein und fordern und kämpfen, machen und tun. Egal was man macht und was man will und wo man herkommt: diese Logik ist zwingend.


Sie reden von dem Druck, von Kollegen und Pleiten, von Zielten und Leere, von Privatem auch. Letzteres wird vollkommen überlagert vom Job, von dem, was sie sein wollen und was der Job sie sein lässt. Und man hätte ja gern mehr Zeit und Familie und Sex und weniger Stress, träumt vom Abhauen, Aussteigen, einfach Verschwinden aber oft ist es schon zu anstrengend noch von der Arbeit in den Privatkontext zu wechseln nach einem 16 Stunden Tag. Da bleibt man lieber Arbeiten.

Getriebene sind das, auch Gestörte und Ängstliche, ja über allen aus der mittleren Ebene scheint eine Bedrohung zu schweben.


„Wenn man nicht über Zeitdruck spricht in seiner Branche, dann hat man gar nichts gesagt.“ meint der Partner. Und er ist Teil der damals in aller Munde geführten McKinseyisierung der Welt. Damit auch unserer Kultur. Hochhuth hat ja sogar ein Stück darüber geschrieben. Heute sind es nicht mehr die Berater und McKinsey, sondern die Banken, die schon Brecht aufs Korn genommen hat und ganz neu: die Rating Agenturen. Doch die Muster sind gleich: Mit ein bisschen Verschwörungstheorie (undurchschaubare Systeme, Absprachen, Männerbünde...) und Empörung über ungleiche Bezahlung, ungerechte Aufstiege, ekelhafte Charaktere, Deformationen durch Arbeit ist es der Kapitalismus, den zugleich alle anbeten und nur dann beklagen, wenn sie sich von ihm abgehängt fühlen. Das ist auch das Problem von Occupy gewesen: Keine Systemfragen bitte mehr, sondern über Teilhabe reden. Das ist vernünftig, aber nicht gerade masstentauglich auf Dauer. Denn die Logik dahinter: Jeder muss sich dann wieder um sich selbst kümmern, vorankommen, weiterkämpfen - genau wie die Typen in diesem Buch.

Das Buch ist kein Roman (nur wenn die Kempowski Editierungen auch Romane sind), sondern ähnelt eher einer essayhaft, theaterdialogig gefärbten, mit Kunst versetzten Reportage. Ein Tatsachenbericht, in dem die Tatsachen stimmen, und wo die künstlerische Verfremdung so gar näher an die Leute führt, deren Worte sonst nur hohl und subjektiv und flüchtig und belanglos wären.


Und dann gibt es diese Momente wie die „Pornohöllle im Messehotel“ (wie sowieso das Thema Messe immer wieder aufkommt und alle auf einer Messe sind - permanent, also an einem Transit- oder Nicht-Ort, der auch metaphorisch für so manche Karriere steht, die im Buch vor sich hinbrabbelt). Die Pornohotelszene, die wie aus einem schlechten, etwas platten Theaterstück (zu dem das Buch auch schon verarbeitet wurde!) entnommen erscheint. Eine Frau schläft in einem Flughafenhotel, überall Gestöhne um sie, weil all die Beratertypen und Headhunter in den Nebenzimmer ihre Pornokanäle gucken uns sich einen von der Palme wedeln. Allein. Und Morgens am Buffet dann schön wieder Business machen. Das Bild bleibt nach der Lektüre.


Ein Buch, das 80 Seiten braucht, um mich reinzuziehen. Dann liest es sich in seiner Fragmentierung und Plotlosigkeit und Wirklichkeitsnähe (gerade wegen der dauernden Konjunktive durch das Zitieren) wie ein Bericht aus dem Herz der Finsternis bei Neonbürolicht, einer Welt, in der wir arbeitend leben.