Masayuki Kusumi / Jiro Taniguchi: Der Gourmet - Von der Kunst allein zu genießen; Carlsen, 207 Seiten

Taniguchi kann einfach alles. Melancholische Geschichten um eine verlorene Jugend auf einer Zeitreise erkunden. Bergsteigerbücher. Introspekive Flaneurgeschichten. Dazu zählt auch dieses großartige Buch. Eine Reise durch die Küche Tokios als Comic. Eine Reise eines Mannes, der das Essen liebt und das Alleinsein offenbar auch.

Dafür hat der Zeichner mit Masayuki Kusumi gearbeitet, der seit Jahren Comics über die japanische Gastronomie zeichnet. Das Buch erschien schon 1997 in Japan (weshalb es keine Handys und iPhones im Buch gibt - ein fast fremdes Land scheint das...) und wurde sogar verfilmt. Es geht um Kultur und Tradition und Präsentation von Kleinigkeiten, die über das Große, das Leben, die Welt, ja auch über uns, etwas aussagen.


Wir wissen, von Prousts Madeleine bis zum Geruch nach Lebertran, dass Geschmack und Geruch die stärksten Erinnerungen zu wecken in der Lage sind, dass Geschmack uns in einer Sekunde Jahrzehnte zurückkatapultieren kann, dass Essen zu den kulturellen Wurzeln gehört, wie die Muttersprache. Und wir wissen, dass Essen viel, viel mehr ist, als bloß seinen Hunger zu stillen. Es ist eine komplexe kulturelle Äußerung, die über uns, unser Land und die Zeit, in der wir leben, etwas erzählt. Und dass Essen Spass macht, dass gutes Essen glücklich und gesund macht, das gilt besonders in einer detailbesessenen und qualitätsfixierten Kultur wie Japan - einer Küche, die wir im Westen noch immer nur in Auszügen kennen, ja, Sushi und Nudelsuppe, aber noch 1000 Dinge mehr. So wie italienische Küche nicht nur Spaghetti und Pizza sind, nicht im Entferntesten.


Die Vielfalt, die bizarren kleinen Kombinationen und der Mix aus simpel und hochkomplex, aus wenigen Zutaten und einer maximalen Vielfalt durch die Zubereitung, all das kann der Essfreund hier erlesen und mitschmecken. In 18 Kapiteln entdeckt die Hauptfigur, oft zufällig, kleine Restaurants mit jeweils ein oder zwei Spezialitäten und probiert diese durch. Meist mit Erinnerungen und Reflexionen verknüpft, manchmal auch nur voller Hingabe ans Essen. Mithilfe eines Glossars am Ende des Buchs, kann auch der von dieser tollentollen Küchen unbeleckte Leser ein paar Gerichte kennenlernen - wenn auch nur optisch und recht schön beschrieben, für eine Idee des Geschmacks gehören aber doch Grundkenntnisse von Teriyaki über Maguro, Adzukibohnen, diverse Algen, Onigiri oder Udon dazu, um eine Ahnung, mehr selbst dann nicht, von der Vielfalt, Klasse und Frische dieser Küche zu bekommen. Die Geschichte dieses Comics ist eigentlich keine, sondern es sind gezeichnete Menueminiaturen, Erfahrungsberichte eines Ess-Besessenen, der aber wie ein guter Gourmet auch seine persönliche Geschichte zu den Gerichten, seine Persönlichkeit nicht verleugnet - und über das Essen, eigentlich immer auch über das Leben nachdenkt. Und das ist so vielfältig uns flüchtig wie ein gutes Mittagessen.

Christian Caravante